Freitag, 28. August 2015

Die Plazenta als Rabenmutter

Und ich dachte, die zweite Schwangerschaft sei entspannter. Kein Abwägen von Pro und Contra Impfen, keine Neuorganisation des Arbeitsverhältnisses, kein Geburtsvorbereitungskurs, keine Spitalbesichtigungen, kein Herumrennen wegen Stramplern aus Bio-Schurwolle, Wickeltisch, Babybettchen, Dondolo und den tausend anderen Utensilien, die ein Baby so braucht. Das hatten wir alles schon beim ersten Kind erledigt. Einzig die Auswahl des Namens bereitete etwas Sorgen, würde unser zweites Kind doch das selbe Geschlecht haben, wie das erste und wir hatten uns schon bei dem schwer getan.

Tatsächlich war der logistische Teil der Vorbereitung auf den neuen Erdenbürger ein Klacks. Zwar räumten wir Ms Büro zu Gunsten eines grösseren Spiel- und zukünftigen Schlafzimmers für Mli und das Chnüspi 2, aber ansonsten genoss ich es vor allem einfach wieder schwanger zu sein und der Geburt relativ gelassen entgegenzusehen.

Und dann musste ich feststellen, dass eben jede Schwangerschaft anders ist. Und nur weil ich bei der ersten keinerlei Komplikationen gehabt hatte, ausser der, dass das Kind auch elf Tage nach dem errechneten Termin nicht freiwillig aus mir herauskommen wollte, ich nicht automatisch davon ausgehen konnte, dass es in der zweiten Schwangerschaft auch so sein würde.
Oh nein.

Erstmal gelang es M. ja, mich mitten in der Husten- und Schnupfenzeit zu schwängern, so dass ich die ersten drei Monate (Januar, Februar und März) ständig krank war, vom leichten Schnupfen bis zur ausgewachsenen Grippe, welche einen Besuch beim Notarzt nötig machte, da ich mich partout geweigert hatte, Medikamente zu nehmen, um dem kleinen Wesen in mir drin nicht zu schaden und ind er Folge fast durchdrehte vor Kopfschmerzen.

War ich nicht krank, war mir übel. Nicht speiübel, aber doch so, dass mir nicht gross zum Essen war.
(Danach folgte dann übrigens die Zeit, die M. bis heute als „Nudelsuppen-Phase“ bezeichnet, da ich wochenlang immer nur Nudel-Miso-Suppe essen wollte. Und gelegentlich auch mal Tortilla-Chips zum Frühstück. Ich schwöre, das war nur einmal!)

Dann folgte das zweite Trimester, ich fühlte mich besser und alle Tests waren wunderbar gelaufen. Wir erfuhren, dass wir abermals einen Jungen erwarten durften und freuten uns sehr. Schliesslich war das Mli so ein fröhliches, lustiges und aufgewecktes Büebli, dass wir das zweite Exemplar kaum erwarten konnten.

Bis meine Frauenärztin „Auffälligkeiten“ im Hirn und in der Plazenta feststellte. Und mich deswegen zum Spezialisten überwies, der quasi den Rolls Royce unter den Ultraschallgeräten hatte. Anscheinend hatte unser kleiner Knopf Knöpfe im Kopf. Zysten, je eine links und rechts. (Die Plazenta hatte Lakunen, aber das war angeblich nichts Schlimmes. ) Die gute Nachricht war zwar, dass die anderen Organe alle tiptop aussahen, aber das hörte ich schon fast gar nicht mehr. Und auch, dass behinderte Kinder zwar oft Zysten haben, Zysten allein aber nicht zwingend ein Hinweis auf Behinderung sind.

Ich bin ein grosser Fan von öffentlichen Verkehrsmitteln aber an dem Tag hätte ich gern ein Auto gehabt. Die Leute sind sehr unangenehm berührt, wenn eine sichtlich schwangere Frau im Bus Rotz und Wasser weint.
Doch kaum hatte ich mir die schwärzesten Szenarien ausgemalt (das Kind litt darin wahlweise unter Wasserkopf, Autismus oder Epilepsie), kam es, wie es der Spezialist vermutet hatte: Um die 25. Woche verschwanden die Zysten spurlos.

Gerade wollten wir aufatmen (ich so tief man eben kann, wenn einem ein kleiner Mensch in einer grossen Fruchtblase, unter der Lunge rumzappelt) als meine Frauenärztin feststellte, dass sich der Knopf in Känguruhhaltung befand. Sprich: Füsse Richtung planmässiger Ausgang. Sie meldete uns zur Lagebesprechung im Kantonsspital an und meinte, so ganz nebenbei, die sollten auch gleich überprüfen, ob das Baby nicht vielleicht etwas zu klein war. Diesen zweiten Teil überhörte ich gänzlich, denn ich recherchierte schweissgebadet das Thema Steissgeburten. Und erfuhr soviel, dass ich wusste, dass ich das Menschlein nicht popovoran aus mir rausdrücken wollte. Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass das meine spass- und reproduktionswichtigen Körperteile  unbeschadet überstehen würden. Ich löschte Steissgeburt aus dem Googlefenster und gab stattdessen Kaiserschnitt ein. Beruhigte mich nicht unbedingt mehr.

Kurz nach unseren Ferien, die ich dann aber doch sehr geniessen konnte (Verdrängung ist ein unterschätztes Talent), dann also der Untersuch.  Und da die frohe Botschaft: Das Kind hat sich gedreht! Freudestrahlend wollten wir uns verabschieden, da kam das grosse ABER.

ABER. Es war tatsächlich zu klein für sein Alter ... Viel zu klein. Und zeigte laut Doppler-Untersuch bereits eine nicht ganz optimale Durchblutung im Gehirn und der Nabelschnur an. Zentralisation heisst das Stichwort, bzw. Kompensation dafür, dass es anderswo eben haperte. Meine Plazenta schien eine Rabenmutter zu sein, die vermutlich lieber kettenrauchend bei der Maniküre sass und TV schaute, als dem Baby was Leckeres, Nahrhaftes zuzubereiten aus den gesunden Bio-Zutaten, die ich ihr lieferte (ok mal abgesehen von der täglichen Schoggi-Glace-Ration, aber die ass ich ja für mich, wie man dem wachsenden Hüftgold ansehen konnte).

Und so begann mein letzter Schwangerschaftsmonat, den ich in einer Blase zweitgebärender, erdmütterlicher Gelassenheit hatte verbringen wollen, die letzten Wochen und Tage als Kleinfamilie geniessend: ein Marathon aus CTG und Ultraschall-Kontrollen im Spital und dazwischen hektisches Fertigstellen von Magazin- und Zeitungsartikeln, für die ich eigentlich viel mehr Zeit vorgesehen hatte. 

Dazwischen wusch ich. Säuglingskleider, neue, noch kleinere Säuglingskleider, Stillkissenbezüge, Bettwäsche, Vorhänge und dann nochmal Säuglingskleider. Irgendwie wirkte das seltsam beruhigend. (Auf mich. Auf M. weniger, obwohl er dieses Verhalten von der letzten Schwangerschaft her hätte kennen müssen.)

Zum Glück schaute Mli, das ich nicht völlig von der Rolle fiel, nicht nur, weil er die Aufmerksamkeit weg von meinem Bauch auf seine Bedürfnisse lenkte und uns mit seinen Kapriolen zum Lachen brachte, sondern auch, weil er uns zwang, das Haus zu verlassen und so in diesen letzten goldenen Sommertagen nochmal etwas Zeit gemeinsam zu verbringen. 

Zeit, die bald sehr rar sein würde.