Donnerstag, 23. Mai 2013
Paris und das Leben
Ich hatte mich mit Hilfe meines imaginären Coachs, der mich wie ein Rugbyteam mit markigen Sprüchen und viel Gebrüll für das Spiel fit machte, vorbereitet:
Coach: Mädel, ich weiss, du stehst vor der grössten Herausforderung deines Lebens! Aber ich sage dir, du wirst sie schaffen!!! Denn was bist du?
Ich, piepsend: Stark?
Coach: Ich kann dich nicht hören!
Ich, lauter: Stark!!
Coach: Jawohl!! Staark! Gott weiss, du hast schon ganz anderes geschafft!
Ich: Genau!!
Coach: Dein Körper ist dafür geschaffen!! Du wirst jetzt da rausgehen und allen zeigen, was Du drauf hast! Du wirst diese Scheisswehen sowas von fertig machen!!
Ich, hüpfe und schreie: Jaaa!
Coach: Du wirst das für Dein Kind tun, denn du bist jetzt eine Mama!! Geh da raus und gebäre!!!
Ich, renne hin und her und brülle: Jawohl!!!! Groooooaaaarrrh!!!
Tja, und jetzt hänge ich da welk auf der Ersatzbank und werde einfach nicht aufgerufen.
Seit nunmehr vier Wochen sind wir bereit für unseren Nachwuchs. Seit neun Tagen ist das Kind überfällig. Ich befinde mich im Mutterschafts-, M. sich im Vaterschaftsurlaub.
Eigentlich hätte ich es ja gar nicht eilig, zu gebären. Ich fühle mich noch immer ausgesprochen wohl, so lange ich nicht allzu lange stehen oder schwer tragen muss und regelmässig die Möglichkeit erhalte, etwas zu essen und nachts neun Stunden zu schlafen. Auch Hebamme und Ärzte waren bei jeder Kontrolle zufrieden mit mir.
Klar, die Kompressionsstrümpfe treiben mich in den Wahnsinn und langsam aber sicher habe ich die Nase voll von den paar wenigen Klamotten, die mir noch über die dicke Kugel passen. Steigen die Temperaturen an, verwandeln sich meine Zehen und Finger in dicke Würstchen. Ich vermisse das Joggen, das Velofahren, das Inline-Skaten, das Wandern und das Buddeln im Garten. Es ist nicht lustig, jedes Mal nach M. zu krähen, wenn ich vom Sofa aufstehen will. Und ich freue mich auf mein Baby (auch wenn ich mir noch überhaupt nicht vorstellen kann, wie dann das Leben mit ihm sein würde). Aber ansonsten hätte ich eigentlich gar kein Problem damit, noch ein paar Wochen länger schwanger zu sein.
Wir hätten doch noch nach Paris fahren können, mault M.
Ab Woche 36 war mir der Gedanke, mich weiter als 50 km vom Spital und meiner Hebamme zu entfernen, geschweige denn noch ins Ausland zu fahren, gar nicht mehr geheuer gewesen. Darum hatte ich M.s Vorschlag, in den Frühlingsferien noch nach Paris zu fahren, kategorisch abgelehnt. Bestimmt kommt das Kind zu früh, sagte ich. Ich bin ganz sicher. Und ich habe gar keine Lust, im Louvre mein Fruchtwasser zu vergiessen. Ausserdem weiss ich noch nicht mal, was "Muttermund" auf Französisch heisst. Bouche de maman??
Paris ist ja nicht Afrika, meinte M. Und wenn das Kind in Paris zur Welt käme, wäre das doch auch noch eine gute Geschichte.
Gute Geschichte?! Ja, vielleicht so in zehn Jahren!
Aber nun, da sich unser Sohn auch über eine Woche nach dem errechneten Termin nicht zeigen will, und am ganzen weiten Horizont nicht mal eine klitzekleine Übungswehe zu sehen ist, muss ich M. Recht geben. Wir hätten locker noch eine Woche nach Paris gekonnt. Ja vermutlich hätten wir sogar noch durch den gesamten afrikanischen Kontinent trampen können und wären dennoch rechtzeitig zurück im Land der High-Tech-Spitäler und guten Gesundheitssysteme gewesen.
Eben dieses drohte nun aber mit der Einleitung. Die Plazenta könnte nun überaltert sein, heisst es. Das Kind könnte nicht mehr richtig versorgt sein. Ich stellte mir die Plazenta wie ein runzliges altes Mütterchen vor, das nach Mottenkugeln riecht und in der Ecke der Gebärmutter schielend vor sich hin sabbert, statt meinem Kind zu schauen. Kein schöner Gedanke. Aber noch weniger gefiel mir die Idee, dass eine bis an die Zähne bewaffnete Polizeischwadrone unser nichtsahnendes Kind mit Gewalt aus seinem besetzten Häuschen trieb.
Der kleine Nesthocker wohnt dann bestimmt noch mit dreissig bei uns, seufzt M. Ich sehe schon viel früher Probleme: Wenn alle laufen und unser noch immer am Boden rumturnt. Wenn alle sprechen und unser sich noch immer vor allem mit Gesten und Schreien verständigt. Wenn alle eine Lehrstelle haben, nur unser noch immer nicht weiss, was er will.
Und genau das ist der springende Punkt: Wir sind es uns so gewohnt, dass praktisch alles nach Plan abläuft oder sich zumindest so lenken lässt, wie wir das möchten.
Ein Kind zu bekommen ist eine der letzten grossen Reisen ins Unbekannte.
Und Geduld ist wohl eine der wichtigsten Eigenschaften für Eltern.
Wie heisst es so schön: Das Gras wächst nicht schneller, wenn du daran ziehst.
Aso versuchen wir uns jetzt in Geduld. Vielleicht macht er sich ja doch noch selber auf den Weg?
Aber das Warten zermürbt. Und der Gedanke an die Einleitung macht mir wirklich unheimlich Angst. Auch weil dann mein ganzer schöner Plan mit der Beleghebamme nicht aufgeht, denn in diesem Fall übergibt sie an das Spitalteam. Auf eine normale Geburt hatte ich mich mental vorbereitet, nun aber muss ich nochmal umdenken.
Andererseits: Was ist schon eine "normale" Geburt?
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Freitag, 17. Mai 2013
Warten auf Bébé
Es sind die letzten Tage in Freiheit. Die letzten Tage nur zu zweit. Geniessen sollten wir sie, sagen uns alle.
Stattdessen rase ich durch Haus und Garten, sauge, bügle, jäte, mähe, putze, wische und schrubbe und mache letzte Ausflüge in Umstandkleiderläden, um (noch mehr) Still-BHs und Nuschitüchter zu kaufen.
Jetzt ist alles bereit.
Das Babybett ausgesucht und zusammengebaut, das Kind beim Kinderarzt und der Versicherung angemeldet, vom Wickelkissen über das Pucktuch bis zur Brustwarzencrème schlicht alles besorgt, was besorgt werden kann.
Der Geburtsvorbereitungskurs besucht, Atemtechniken geübt, das Spital besichtigt und die Anfahrt je nach Verkehrssituation besprochen.
Der Gemüsegarten bepflanzt, der Rasen gemäht und das Staudenbeet gejätet.
Die Wohnung geputzt, also das Bad, die Küche, sogar den Kühlschrank und die Fenster und sämtliche Textilien gewaschen und getrocknet.
Alle unsere Freunde und Verwandten nochmal getroffen, die Haare geschnitten, Mails beantwortet und Rechnungen bezahlt.
M. im Vaterschaftsurlaub.
Der grosse Tag kam und ging. Das Kind blieb im Bauch.
Etwas ratlos hängen wir seither herum und versuchen uns im letzten Punkt auf der Liste: Geniessen.
Nur geht das in der 41. Woche nicht mehr so gut.
Ausflüge? Nur noch in die nächste Umgebung.
Velofahren? Unbequem.
Wandern? Anstrengend.
Sex? Unbequem. Und anstrengend. (Obwohl es ja die Wehen anregen würde ...)
Wellness? Die würden mich in meinem Zustand wohl nicht mehr reinlassen. Keiner will die Verantwortung übernehmen (geschweige denn die Sauerei aufwischen), wenn ich im Rhassoul oder im Blütendampfbad niederkäme.
Essen gehen? Nach der letzten Schwangerschaftskontrolle inklusive Messung des Gewichts hat auch das den Spassfaktor verloren. (Folgende Tiere fielen mir bei Anblick der Zahl ein: Seekuh. Walross. Elefant.)
Glücklicherweise finden wir jetzt doch noch einige hochschwangerentauglichen Beschäftigungen. Man muss sich einfach überlegen, was man mit einer rüstigen, wenn auch 93-jährigen Tante unternehmen würde.
Gemütliches Spazieren.Schiff fahren.Scrabble spielen.
Ins Museum gehen. (Klappstühlchen keinesfalls vergessen. Und anschliessend gute Vorsätze über den Haufen werfen und Kuchen im Museumscafé essen.)
Lesen.
Schlafen.
Filme gucken. (Zum Beispiel "Der erste Schrei".)
Ab und zu fragt M.: Und, tut sich schon was? Und ich (lausche kurz in mich hinein) und antworte: Nö.
Gelegentlich beult sich mein Bauch wild in alle Richtungen. "Wenn er nach dir kommt, will er vermutlich schon lange raus, findet aber den Ausgang nicht!" spottet M. "Wenn er nach dir kommt, ist er ein so schlimmer Trödler, dass er erst kommt, wenn wir ihm ernsthaft mit der Einleitung drohen", gebe ich zurück, während ich versuche, mich auf dem Sofa in eine bequeme Lage zu manövrieren und geflissentlich meine Zehen ignoriere, die mehr und mehr kleinen, weissen Chipolata-Würstchen gleichen.
Nachdem ich überzeugt war, das Kind käme zu früh und ich sei noch nicht bereit, sorge ich mich nun, dass das Kind nicht selber rauskommen will. Denn spätestens 10 Tage nach Termin soll nachgeholfen werden. Ich bin ja eine sehr gastfreundliche Person und verstehe es daher als Kompliment, dass das Baby sich bei mir so wohl zu fühlen scheint. Darum geht mir ein brachialer Rauswurf auch so gegen den Strich. Ausserdem kann er alle möglichen Komplikationen nach sich ziehen. (Eine weitere, aber nicht sehr ratsame Beschäftigung für überreife Schwangere: Internetrecherchen. Lieber auf Facebook bei The skeptical mother bewegende Geburtsgeschichten und Babyfotos anschauen!)
Das ist nämlich das Blöde am sogenannten Übertragen. Man hat Zeit, sich Sorgen zu machen.
Aber auch mehr Zeit, sich zu freuen.
Und Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude.
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Donnerstag, 16. Mai 2013
Ach wie gut, dass niemand weiss ...
Einen Namen für ein Kind zu finden, ist nicht einfach. Ich weiss nun, wovon ich rede. Denn im Gegensatz zur Wahl des Kinderbettchens (die nebenbei bemerkt auch nicht einfach war) ist es eine Entscheidung fürs Leben.
Doch ähnlich wie bei Tattoo-Motiven scheinen sich manche dabei trotzdem nicht allzu viele Gedanken zu machen. Oder sie hassen ihr Kind. Warum sonst würden Eltern ihren Sprössling Tarzan taufen? Wollen sie damit sicher gehen, dass ihr Kind auch bestimmt einen einzigartigen Namen hat? Leider gelingt das noch nicht einmal mit einem Namen wie Orgetorix. Da sind mir auch schon zwei bekannt.
Kein Scherz: Allein in der Schweiz soll es sieben Kinder mit dem Namen Tarzan geben. Ausserdem ein Dutzend Kleopatras, 56 Divas, vier Madonnas, 4 Laser, 13 Kings und 47 Amors*.
Aber auch Mütter und Väter, die sich für einen Noah oder eine Mia entscheiden, strafen ihr Kind. Die Chance, dass sie in der Schule nämlich nicht ganz die einzigen mit dem Namen sein werden, ist angesichts der Tatsache, dass die Namen in den letzten Jahren die Hitlisten stürmten, relativ gross. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird das Kind, zwecks besserer Unterscheidung, einen wenig schmeichelhaften Spitz- oder Beinamen erhalten.
Wir hatten uns entschieden, bei der Namenssuche nach dem Ausschluss-Verfahren vorzugehen:
- Nachdem das Geschlecht des Kindes klar war, konnten wir schon mal alle weiblichen Namen ignorieren.
- Aus nachvollziehbaren Gründen ebenfalls gestrichen wurden Namen wie Adolf, Saddam, Wladimir und Osama (von letzterem soll es übrigens ebenfalls 46 Stück geben in der Schweiz).
- Danach entfernten wir alle Namen, die in den letzten Jahren die Hitlisten dominierten: Nebst Noah also auch Namen wie Luca, David, Lionel und Simon.
- Und diejenigen der Kinder unserer Freunde und Verwandten. ("Namensklau" soll ja schon langjährige Freundschaften beendet haben).
- Im vornhinein ausgeschlossen wurden Namen, die bezüglich Orthografie oder Aussprache Unsicherheiten aufkommen lassen könnten. Nichts ist nerviger, als wenn jeder neue Lehrer nach einem verunsicherten Blick auf die Namensliste erstmal fragen muss: "Wie spricht man das aus?" Nur um es beim nächsten und übernächsten Mal wieder falsch zu machen, bis man nicht mehr den Nerv aufbringt, ihn zu korrigieren.
- Aus diesem Grund fielen auch alle Namen weg, die englisch, italienisch oder französisch ausgesprochen werden müssten, um schön zu klingen.
- Wir wollten keinen Namen, der klang als hätten wir ihn willkürlich aus möglichst vielen Vokalen zusammengebaut.
- Es durfte auch nichts allzu Ausgefallenes, Exotisches sein. In Kombination mit unseren gutbürgerlichen Nachnamen würde das einfach nur lächerlich wirken.
- Da wir beide teilweise in lehrender Tätigkeiten beschäftigt waren, kamen einige Namen nicht in Frage, weil sie in negativer Weise an ehemalige Schüler erinnerten.
- Unsere Liste wurde aber auch darum immer kürzer, weil wir feststellen mussten, dass wir wie in Sachen Musik auch, ganz unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was schön klingt.
- Und
dann war da noch der Haken mit der Bedeutung der Namen. Zwar kenne ich
etliche Philipps, die keine Neigung zu Pferden haben. Und
kreuzunglückliche Felixe. Dennoch wollte ich dabei kein Risiko eingehen.
("Cian?" fragte M. - "Nein", antwortete ich nach kurzer Internetkonsultation. ""Alt" und "antik" passt doch nicht zu einem Baby." "Linus oder Lino?" "Süss, aber keine Chance. Der Leidende, Trauernde, Klagende? Das wollen wir ihm (und uns) nicht antun, oder?" "Wendelin?" fragte M. "Bist du wahnsinnig?" rief ich entsetzt. "Wendelin bedeutet "Vandale". Da haben wir dann das Geschenk, wenn er mit sechzehn eine S-Bahn zu Kleinholz macht.")
"Jetzt bleibt uns aber nicht mehr viel", bemerkte M. trocken.
Ein uns bekanntes Paar suchte in seiner Verzweiflung auf Friedhöfen nach dem passenden Namen für ihr Kind. Alte Vornamen wie Karl und Frieda seien ja wieder schwer im Kommen. Wir waren nach eigener Inspektion dann aber doch erleichtert, als wir erfuhren, dass sie nicht einen Otto, eine Gertrud oder einen Hans-Peter, sondern eine Rosalin bekommen haben.
Der Geburtstermin rückte näher und näher. Zwar hatten wir mittlerweile ein paar Favoriten, doch zu einer definitiven Entscheidung konnten wir uns lange nicht durchringen.
In den frühen neunziger Jahren waren für mich Nirvana, Karo-Hemden, Dreadlocks und kaputte XL-Hosen das Nonplusultra. Nur um gegen Ende der Neunziger von hautengen Schlaghosen, Buffalo-Boots, blauen Haarsträhnchen und Techno-Beats abgelöst zu werden, bevor es irgendwann zum Wechsel Richtung Indie-Rock und moderatem Hipstertum kam. Auch M. liess so manches Foto aus seiner Jugend verschwinden, so peinlich ist ihm sein damaliges Aussehen.
Was ich damit sagen will: Wie können wir unserer Entscheidung trauen? Was uns jetzt gefällt, finden wir in ein paar Jahren vielleicht schrecklich. Der Geschmack verändert sich nun mal. Wie viele Eltern haben ihre Entscheidung bereut, kaum dass die Tinte auf dem Dokument trocken war? Und wie viele würden ihre Kinder zehn Jahre später anders nennen, wenn sie es könnten?
Vermutlich machten wir uns ja viel zu viele Gedanken. Welches Kind mag schon seinen eigenen Namen? Da kann er mit noch so viel Liebe und Vorsicht ausgesucht worden sein.
Anscheinend soll der Name aber gar nicht dem Kind gefallen. Und auch nicht den Eltern. Sondern dem zukünftigen Lehrer, Arbeitgeber oder Wohnungsvermieter, las ich in einem Ratgeber*. In Studien hätten Schüler und Studenten mit gewissen Namen bei gleichen Leistungen schlechtere Noten erhalten, als solche, welche einen gefälligeren Namen trugen.
Das setzte uns noch mehr unter Druck. Zu all den Sachen, die Eltern verkorksen können, gehört nun also auch noch die Wahl des Namens.
Freunde und Verwandte waren auch keine grosse Hilfe. Entweder kamen sie uns mit nicht ernst gemeinten Vorschlägen wie Aegidius, Horatio oder Bonifaz, über die wir spätestens ab Schwangerschaftswoche 37 nicht mehr wirklich lachen konnten. Oder sie liessen unabsichtlich abfällige Bemerkungen oder wüste Assoziationen zu Namen fallen, die es bei uns bereits in die engere Auswahl geschafft hatten.
Die Frage: "Und, händ ihr scho en Name?" wird etwa ähnlich häufig gestellt, wie "Und, wüssed ihr scho was es wird?"
Und diesmal antworte ich hartnäckig und eigensinnig: "Ja, aber mir sägeds nonig."
Denn dass uns jemand den so sorgfältig ausgewählten Namen für unser Schwurbli (Arbeitstitel) im letzten Moment noch madig macht, würden meine nun mehr ziemlich dünnen Nerven nicht etragen.
* Diese Angaben stammen übrigens aus dem sehr lesenswerten NZZ Folio zum Thema Vornamen, Ausgabe April 2013.
Mittwoch, 1. Mai 2013
Abschiedsbrief
Mein lieber Bauch!
Ich weiss, unsere Beziehung war in den letzten dreissig Jahren nicht immer rosig. Die ersten 15 Jahre habe ich dich grösstenteils ignoriert und danach alles getan, dich wegzutrainieren, zu kaschieren, zu verstecken. Ich mochte Dich gar nicht, ganz ehrlich. Zu bleich warst Du mir. Und warum Du trotz 1000 Sit-ups nicht so flach und straff sein wolltest wie bei manchen Freundinnen, konnte ich auch nicht verstehen. Das süsse Geheimnis, das man so oft hätte in Dir vermuten können, stellte sich stets als doppelte Portion Pizza mit Dessert heraus.
Jeden Abend habe ich Dich seither liebevoll mit naturkosmetischen Ölen massiert und insgesamt bestimmt hundert Fotos von Dir gemacht. Stolz wie ein Pfau bin ich in den letzten Monaten mit Dir herumspaziert und habe Dich in die Welt gestreckt, um allen zu zeigen, was Du drauf hast. Und stell Dir vor, ich habe ganz viele Komplimente wegen Dir erhalten! Ja! Sogar von Wildfremden! Schön seist Du. En typische Buebebuuch!
Du hast mir die Aufmerksamkeit und Zuneigung gedankt, in dem Du mich kein einziges Mal mit Übelkeit, Sodbrennen oder Magenschmerzen geplagt hast. Bist nicht mal gerissen, sondern hast Dich bloss mit der Linea nigra, einer wunderschönen Linie quer über den Bauchnabel verziert (und dem einen oder anderen zusätzlichen Haar, von dem ich schwören könnte, dass es vorher nicht da war. Aber das nehme ich Dir nicht übel.)
In Dir passiert jetzt gerade das grösste Wunder überhaupt. Und Du lässt mich daran teilhaben, in dem Du mich spüren und sehen lässt, wenn sich das Kindlein darin bewegt oder den Hitzgi hat.
Zwar wirst Du nun mit jedem Tag grösser und schwerer, was mir das Stehen, Gehen, Treppensteigen, Bücken, ja sogar das Liegen im Bett immer unbequemer macht.Trotzdem werde ich Dich vermissen. Die magische Zeit könnte nun täglich vorbei sein. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass ich die neun Monate mit Dir nie vergessen werde.
Und ich verspreche Dir, dass ich ganz fest versuchen werde, unsere positive Beziehung auch dann aufrechtzuerhalten, wenn Du mir für den Rest meines Lebens zeigst, dass Dich diese intensive Beanspruchung etwas strapaziert hat.
Wie sagt man so schön: Es sind die inneren Werte, die zählen.
Kleiner Nachtrag:
Folgendes Zitat von Arthur Schnitzler stand heute auf unserem Kalenderblatt:
"Ein Abschied schmerzt immer, auch wenn man sich schon lange darauf freut."
Passt doch irgendwie ganz wunderbar zum Thema Bauch. Und Geburt.
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