Einen Namen für ein Kind zu finden, ist nicht einfach. Ich weiss nun, wovon ich rede. Denn im Gegensatz zur Wahl des Kinderbettchens (die nebenbei bemerkt auch nicht einfach war) ist es eine Entscheidung fürs Leben.
Doch ähnlich wie bei Tattoo-Motiven scheinen sich manche dabei trotzdem nicht allzu viele Gedanken zu machen. Oder sie hassen ihr Kind. Warum sonst würden Eltern ihren Sprössling Tarzan taufen? Wollen sie damit sicher gehen, dass ihr Kind auch bestimmt einen einzigartigen Namen hat? Leider gelingt das noch nicht einmal mit einem Namen wie Orgetorix. Da sind mir auch schon zwei bekannt.
Kein Scherz: Allein in der Schweiz soll es sieben Kinder mit dem Namen Tarzan geben. Ausserdem ein Dutzend Kleopatras, 56 Divas, vier Madonnas, 4 Laser, 13 Kings und 47 Amors*.
Aber auch Mütter und Väter, die sich für einen Noah oder eine Mia entscheiden, strafen ihr Kind. Die Chance, dass sie in der Schule nämlich nicht ganz die einzigen mit dem Namen sein werden, ist angesichts der Tatsache, dass die Namen in den letzten Jahren die Hitlisten stürmten, relativ gross. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird das Kind, zwecks besserer Unterscheidung, einen wenig schmeichelhaften Spitz- oder Beinamen erhalten.
Wir hatten uns entschieden, bei der Namenssuche nach dem Ausschluss-Verfahren vorzugehen:
- Nachdem das Geschlecht des Kindes klar war, konnten wir schon mal alle weiblichen Namen ignorieren.
- Aus nachvollziehbaren Gründen ebenfalls gestrichen wurden Namen wie Adolf, Saddam, Wladimir und Osama (von letzterem soll es übrigens ebenfalls 46 Stück geben in der Schweiz).
- Danach entfernten wir alle Namen, die in den letzten Jahren die Hitlisten dominierten: Nebst Noah also auch Namen wie Luca, David, Lionel und Simon.
- Und diejenigen der Kinder unserer Freunde und Verwandten. ("Namensklau" soll ja schon langjährige Freundschaften beendet haben).
- Im vornhinein ausgeschlossen wurden Namen, die bezüglich Orthografie oder Aussprache Unsicherheiten aufkommen lassen könnten. Nichts ist nerviger, als wenn jeder neue Lehrer nach einem verunsicherten Blick auf die Namensliste erstmal fragen muss: "Wie spricht man das aus?" Nur um es beim nächsten und übernächsten Mal wieder falsch zu machen, bis man nicht mehr den Nerv aufbringt, ihn zu korrigieren.
- Aus diesem Grund fielen auch alle Namen weg, die englisch, italienisch oder französisch ausgesprochen werden müssten, um schön zu klingen.
- Wir wollten keinen Namen, der klang als hätten wir ihn willkürlich aus möglichst vielen Vokalen zusammengebaut.
- Es durfte auch nichts allzu Ausgefallenes, Exotisches sein. In Kombination mit unseren gutbürgerlichen Nachnamen würde das einfach nur lächerlich wirken.
- Da wir beide teilweise in lehrender Tätigkeiten beschäftigt waren, kamen einige Namen nicht in Frage, weil sie in negativer Weise an ehemalige Schüler erinnerten.
- Unsere Liste wurde aber auch darum immer kürzer, weil wir feststellen mussten, dass wir wie in Sachen Musik auch, ganz unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was schön klingt.
- Und
dann war da noch der Haken mit der Bedeutung der Namen. Zwar kenne ich
etliche Philipps, die keine Neigung zu Pferden haben. Und
kreuzunglückliche Felixe. Dennoch wollte ich dabei kein Risiko eingehen.
("Cian?" fragte M. - "Nein", antwortete ich nach kurzer Internetkonsultation. ""Alt" und "antik" passt doch nicht zu einem Baby." "Linus oder Lino?" "Süss, aber keine Chance. Der Leidende, Trauernde, Klagende? Das wollen wir ihm (und uns) nicht antun, oder?" "Wendelin?" fragte M. "Bist du wahnsinnig?" rief ich entsetzt. "Wendelin bedeutet "Vandale". Da haben wir dann das Geschenk, wenn er mit sechzehn eine S-Bahn zu Kleinholz macht.")
"Jetzt bleibt uns aber nicht mehr viel", bemerkte M. trocken.
Ein uns bekanntes Paar suchte in seiner Verzweiflung auf Friedhöfen nach dem passenden Namen für ihr Kind. Alte Vornamen wie Karl und Frieda seien ja wieder schwer im Kommen. Wir waren nach eigener Inspektion dann aber doch erleichtert, als wir erfuhren, dass sie nicht einen Otto, eine Gertrud oder einen Hans-Peter, sondern eine Rosalin bekommen haben.
Der Geburtstermin rückte näher und näher. Zwar hatten wir mittlerweile ein paar Favoriten, doch zu einer definitiven Entscheidung konnten wir uns lange nicht durchringen.
In den frühen neunziger Jahren waren für mich Nirvana, Karo-Hemden, Dreadlocks und kaputte XL-Hosen das Nonplusultra. Nur um gegen Ende der Neunziger von hautengen Schlaghosen, Buffalo-Boots, blauen Haarsträhnchen und Techno-Beats abgelöst zu werden, bevor es irgendwann zum Wechsel Richtung Indie-Rock und moderatem Hipstertum kam. Auch M. liess so manches Foto aus seiner Jugend verschwinden, so peinlich ist ihm sein damaliges Aussehen.
Was ich damit sagen will: Wie können wir unserer Entscheidung trauen? Was uns jetzt gefällt, finden wir in ein paar Jahren vielleicht schrecklich. Der Geschmack verändert sich nun mal. Wie viele Eltern haben ihre Entscheidung bereut, kaum dass die Tinte auf dem Dokument trocken war? Und wie viele würden ihre Kinder zehn Jahre später anders nennen, wenn sie es könnten?
Vermutlich machten wir uns ja viel zu viele Gedanken. Welches Kind mag schon seinen eigenen Namen? Da kann er mit noch so viel Liebe und Vorsicht ausgesucht worden sein.
Anscheinend soll der Name aber gar nicht dem Kind gefallen. Und auch nicht den Eltern. Sondern dem zukünftigen Lehrer, Arbeitgeber oder Wohnungsvermieter, las ich in einem Ratgeber*. In Studien hätten Schüler und Studenten mit gewissen Namen bei gleichen Leistungen schlechtere Noten erhalten, als solche, welche einen gefälligeren Namen trugen.
Das setzte uns noch mehr unter Druck. Zu all den Sachen, die Eltern verkorksen können, gehört nun also auch noch die Wahl des Namens.
Freunde und Verwandte waren auch keine grosse Hilfe. Entweder kamen sie uns mit nicht ernst gemeinten Vorschlägen wie Aegidius, Horatio oder Bonifaz, über die wir spätestens ab Schwangerschaftswoche 37 nicht mehr wirklich lachen konnten. Oder sie liessen unabsichtlich abfällige Bemerkungen oder wüste Assoziationen zu Namen fallen, die es bei uns bereits in die engere Auswahl geschafft hatten.
Die Frage: "Und, händ ihr scho en Name?" wird etwa ähnlich häufig gestellt, wie "Und, wüssed ihr scho was es wird?"
Und diesmal antworte ich hartnäckig und eigensinnig: "Ja, aber mir sägeds nonig."
Denn dass uns jemand den so sorgfältig ausgewählten Namen für unser Schwurbli (Arbeitstitel) im letzten Moment noch madig macht, würden meine nun mehr ziemlich dünnen Nerven nicht etragen.
* Diese Angaben stammen übrigens aus dem sehr lesenswerten NZZ Folio zum Thema Vornamen, Ausgabe April 2013.
Habe nun herzlich über deine Artikel gelacht, sie sind grossartig geschrieben! Das Folio habe ich seit neuestem abonniert und habe mich durch die ganze wer wohnt da -Serie durchgelesen.
AntwortenLöschenLg Carmen