Dienstag, 30. April 2013

Ein Baby kommt selten allein



Es ist noch nicht lange her, da die Christenheit gerade mal wieder die Auferstehung von Gottes Sohn feierte. Das Leben des Mannes, der zum berühmtesten Menschen der Welt werden sollte, fing bekanntlich in grösstmöglicher Armut an. In Windeln gewickelt, in einer Heukrippe in einem erbärmlichen Stall. So will es die Legende.

Nun, vielleicht war Maria auch einfach sehr schlecht auf die Ankunft ihres Sohnes vorbereitet. Welche werdende Mutter verlässt denn im hochschwangeren Zustand noch das Haus, um quer durch das ganze Land zu reisen, noch dazu auf einem unklimatisierten Esel, und nimmt nicht mal einen Maxi-Cosi mit?

Geschweige denn ein Pack Pampers, einen Nuggi, eine Milchpumpe, ein Set Strampler aus hautfreundlichem Wolle-Seide-Gemisch, ein Bio-Baumwoll-Mützchen, einen Overall aus naturbelassenem Merino, selbstgestrickte Söckchen, unparfümierte Popo-Crème, eine Wickelunterlage, einen Tummytub, eine Nuggikette mit Bernsteinanteil – um jetzt hier nur einen Bruchteil davon aufzuzählen, was ein Menschlein ausserhalb des Mutterleibs
scheinbar alles braucht.

Wer nämlich denkt, dass ein Kind nackt und bloss auf die Welt kommt, der hat sich getäuscht. Heerscharen von Babybedarf-Herstellern sorgen dafür, dass die werdende Mama in den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft vor allem eins tut: Einkaufen.
 

Auch mir hat die Frage, ob und wenn ja was ich für mein Kind alles anschaffen muss, ganz schön viel Kopfzerbrechen bereitet.

Eigentlich braucht ja ein kleines Kerlchen nicht so viel. Hat man ja bei Jesus gesehen. (Wobei der dann auch kurz nach seiner Geburt ziemlich grosszügig mit Gold, Weihrauch und Myrrhe beschenkt wurde und sich damit dann wohl doch den einen oder anderen New-Born-Eselsattel oder eine Ebenholz-Lauflernkutsche, oder was Babys vor zweitausend Jahren sonst so brauchten, hatte anschaffen können.)

Ich hörte von Müttern, so sie denn nicht ohnehin ganz auf Windeln verzichteten, dass sie ihre Kinder auf dem Fussboden wickelten und im Waschbecken badeten. Ja es soll sogar welche geben, die einen Wäschekorb als Bettchen benützen.

Zwar hatte ich mir ebenfalls vorgenommen, nur das allernötigste zu kaufen. Unser Budget war beschränkt und das letzte was ich wollte, war unsere kleine Wohnung mit noch mehr Zeug vollzustopfen. Ich hatte mir geschworen, mir nichts Unnötiges andrehen zu lassen. Jeder Kauf würde sorgfältig überlegt und nur getätigt, wenn der betreffende Gegenstand wirklich praktisch, notwendig, möglichst ökologisch und lange verwendbar war. Und, ebenfalls wichtig, das Auge nicht beleidigte.(Warum glauben so viele Hersteller, alles was am oder um ein Baby herum ist, müsse schreiend bunt und/oder mit verniedlichten Tierchen daher kommen? Es sind ja die Eltern, die das Zeug dann den ganzen Tag anschauen müssen!)

Trotzdem wurde sowohl meine Einkaufsliste als auch die Schachtel- und Taschenberge im zukünftigen Kinderzimmer immer umfangreicher, nicht nur weil ich entschieden hatte, sowohl einen Wickeltisch, als auch ein Bettchen UND ein Badewännchen zu kaufen. Den Wäschekorb brauche ich nun mal für meine Wäsche, das Waschbecken schien mir unpassend und die Sachen, die man gemeinhin zum Wickeln braucht, wollten schliesslich auch dann irgendwo aufbewahrt werden, wenn man das Kind auf dem Fussboden wickelt.

Aber mit dem Kauf eines Wickeltischs, Bettchens und Badewännchens war die Sache längst nicht erledigt. Zum Bettchen braucht man nämlich auch eine Matratze, einen Matratzenschoner, einen Matratzenbezug, ein Nestchen (zum Schutz des Köpfchens im Gitterbett), einen Nestchenbezug, einen Schleiervorhang, ein Mobile, ein Wolldeckchen und ein Schlafsäckchen. Für den Fall dass das Baby zum Schlafen lieber gepuckt werden will, auch noch einen Pucksack. Der Wickeltisch benötigt natürlich noch ein Wickelkissen, einen Wickelkissenbezug, Windeln, Babyöl, Feuchttücher, Waschlumpen, Wasserbecken, Watte, Frotteetücher, Haarbürste, Nagelscherchen und Wundcrème.

Dazu kommt: Sowohl Grösse als auch Bedürfnisse eines Kindes wechseln nach der Geburt fast stündlich und bedürfen austattungsmässig ständiger Nachrüstung. Allein die Kleider müssen ja alle paar Wochen komplett ausgewechselt werden. Da ich nicht wusste, ob ich ein zartes Mäuschen oder vielleicht doch einen dicken Brummer auf die Welt bringen würde, organisierte ich mir sicherheitshalber zwei komplette Ausstattungen in den Grössen 50 und 56. ("Der Junge hat ja jetzt schon mehr Klamotten als ich", lautete M.s Kommentar.)

Dass uns die letzten drei oben erwähnten Punkte (ökologisch, haltbar, keine Sachen, die das Auge beleidigen) sehr wichtig waren, führte dazu, dass wir nicht nur bei der Suche nach dem passenden Kinderbettchen von Pontius zu Pilatus pilgern mussten (um gleich bei den biblischen Vergleichen zu bleiben). Ich hatte gedacht, das Einkaufen für das eigene Kind würde Spass machen. Stattdessen stresste es mich so, dass ich fast neidisch wurde auf die gute Mutter Gottes. Zwar musste sie ihr Kind in einer Heukrippe unterbringen, dafür blieb sie vor halbstarken Kinderwagenverkäufern, Baby-Joe, Ikea, Ricardo und stundenlangem Googeln verschont. Und Kinderkleiderbörsen welche in Sachen Geschäftigkeit und Lärm einem Bauernmarkt im Herzen von Delhi in nichts nachstanden.

Klar musste Maria auf einem Esel nach Bethlehem reiten, ich aber musste im Feierabendstossverkehr von Zürich nach Basel tuckern, um dort ein über das Internet erstandenes Babybay abzuholen. (Ich hatte dummerweise beim Kauf übersehen, wo die Verkäuferin wohnt.)


Zurück kam ich übrigens nicht nur mit besagtem Babybay, sondern auch noch mit einem Riesensack Windeln, einem Fixleintuch, einem Tragetuch, einem Sterilisiergerät, einem Flaschenwärmer und einem Umstandskleid.

"Ein Flaschenwärmer? Ich dachte, du wolltest nur das Nötigste kaufen", fragte M. als ich schwerbeladen ins Haus wankte. "Ich weiss! Aber ein Sterilisiergerät ist unheimlich praktisch", sagte ich. "Wir haben uns doch entschieden, die Sachen einfach in der Pfanne auszukochen", entgegnete M., als ich das Teil auspackte. Es war grösser als unsere Kaffeemaschine und nahm sofort einen Gutteil der Küchenarbeitsfläche in Beschlag.
"Ja, aber die Frau war soo nett! Und stell dir vor, sie hat mir das Ding für nur fünf Franken gegeben", strahlte ich. 

Dass das Ding derzeit und wohl bis auf weiteres bei uns im Keller steht, versteht sich von selbst.


Und dass seither auch noch einiges anderes Einzug hielt, nicht weil wir es gebraucht hätten, sondern weil wir es gratis, oder fast gratis bekamen oder es "einfach sooo herzig" war, auch.




PS: Da ich nirgends eine vollständige und wahrheitsgetreue Liste von Dingen, die Eltern und Kind am Anfang brauchen, finden konnte, habe ich hier selber eine erstellt.

Sonntag, 28. April 2013

Mit dem Folterknecht auf du und du


Bisher hatte ich mir immer vorgestellt, die Geburt sei vergleichbar mit einem Rendez-vous mit der spanischen Inquisition.

"Liebe werdende Mutter", würde der Folterknecht sagen, "bald werden wir dir dein Kind überreichen. Leider müssen wir dich vorher noch ein klitzekleines bisschen foltern. Du darfst dabei aber selber wählen, ob du dich lieber auf das Streckbett oder die Nagelbank legen willst. Manche bevorzugen auch das heisse Öl. Oder möchtest Du lieber ausgepeitscht werden? Wir haben in jedem Raum alles zur Verfügung, es ist auch erlaubt zwischendurch zu wechseln, je nachdem, was einem gerade mehr behagt. Und nur keine Angst, zur Schmerzlinderung haben wir ätherische Öle, Globuli und Bachblütentropfen. Und Goran, unser Folterassistent, ist in Akupunktur ausgebildet. Wir haben extra gedämpftes Licht und du darfst dazu deine Lieblingsmusik hören!"

Ich war immer felsenfest überzeugt, dass wenn ich je schwanger würde, ich lieber gar nicht mitbekommen möchte, wie das Kind aus mir herauskommt. Kreissaal soll ja wirklich von Kreischen kommen. Und Wehen heissen auch nicht Wehen, weil sie Spass machen. (Da kann man sie noch so Wellen nennen, wie das im Hypno-Birthing gemacht wird. Übrigens etwas was ich als Binnenlandbewohnerin nicht weniger furchteinflössend finde. Was Wellen anrichten können, hat man ja letztes Jahr in Japan gesehen ...)
Ich würde also beim ersten Anzeichen von WEHEN sofort die höchstmögliche Zudröhnung bestellen. Oder vielleicht lieber gleich einen Kaiserschnitt.

Ich konnte die werdenden und gewordenen Mütter nicht verstehen, die jegliche Hilfe von aussen, geschweige denn einen Kaiserschnitt, als persönliches Versagen ansehen. 
Schliesslich lässt sich heute auch keiner mehr ohne Narkose Zähne ziehen, weil das "viel natürlicher" ist. 

Tja, nun bin ich selber schwanger. Und plötzlich sieht alles GANZ anders aus.  


Ich lernte folgendes:

  • Wenn die Frau während der Geburt Medikamente bekommt, wirken die natürlich auch auf das Kind. Nicht umsonst haben wir nun neun Monate lang sogar auf Hustenbonbons verzichtet. Wenn Mutti also mit Pethidin, einem hochkarätigen Opiat, zugeknallt wird, wie angeträllert ist dann erst das arme Baby? Und das in einem Moment, in welchem beide eigentlich vollen Einsatz geben müssten!
  • Eine PDA wird ins Rückenmark gespritzt. Allein schon der Gedanke lässt mich erschauern. Anschliessend ist man gezwungen, auf dem Rücken liegend zu gebären. Alle Techniken, die sonst bei einer Geburt unterstützend wirken können, also Bewegung, Baden, oder die Gebärposition Vierfüsslerstand sind dann unmöglich. Oft kommt es zu weiteren Komplikationen und/oder es muss per Saugglocke, Zange oder gar Kaiserschnitt nachgeholfen werden. Ausserdem litt eine Bekannte von mir anschliessend noch tagelang an starken Kopf- und Rückenschmerzen. Es soll gar die Gefahr bestehen, länger nicht mehr gehen zu können.
  • Geplante Kaiserschnitte sind grundsätzlich des Teufels. Es gibt einen Grund, warum sich alle Säugetiere aktiv durch einen Geburtskanal pressen müssen. Angeblich ist es nicht gut, dem Kind dieses erste und wichtigste Erfolgserlebnis seines Lebens vorzuenthalten. Ausserdem ist "ein aktiv gestaltetes Geburtserlebnis" auch etwas, was mütterlichen Charakter stärkt. Und ein wichtiges Thema auf dem Spielplatz, im PEKiP-Kurs, im Babyschwimmen, im Babymassagekurs, bei der Rückbildung und wo sonst frisch Entbundene zusammenkommen, um zu plaudern. So ähnlich wie sich die Wikinger in Walhall ihre glorreichen Erlebnisse bei von ihrer letzten Schlacht erzählen. Ein paar Tropfen Schweiss, Blut und Tränen müssen da schon geflossen sein, um in den Kreis aufgenommen zu werden.
  • Eigentlich ist der Körper der Frau zum Gebären geschaffen. Damit handelt es sich, im Gegensatz zum Ziehen eines Zahns, in der Tat um einen sehr natürlichen Vorgang (der von Mutter Natur vielleicht nicht ganz bis in alle Details durchdacht wurde, aber doch in den meisten Fällen funktioniert).   
  • Geburten verlaufen bei jeder Frau und bei jedem Kind wieder anders. Man kann sich noch so gut vorbereiten, wenn es soweit ist, kommt es ohnehin anders. Man hat keine andere Wahl, als sich darauf einzulassen.
  • Und: Sie müssen gar nicht weh tun. Weh tut es vor allem, weil man sich fürchtet. Angst verkrampft den Körper und macht alles nur noch viel viel schlimmer.
Alle diese Erkenntnisse haben mich nun zwar überzeugt, eine möglichst natürliche Geburt zu versuchen. Aber sie haben mich nicht unbedingt beruhigt. Wenn möglich haben sie mir eher noch mehr Druck und Angst gemacht.

Was mir wirklich hilft, ist folgendes: 

  • Wenn es meinem Körper gelungen ist, auf magische Art und Weise aus M.s Beitrag und einer meiner Zellen in nur neun Monaten, still und leise, praktisch ohne dass ich es bemerkt habe, ein fixfertiges, quicklebendiges Baby zu zaubern, dann wird er es auch fertigbringen, es aus mir herauszubefördern. Ich muss ihm nur vertrauen.
  • Wenn es wirklich so grausam wäre, würde keine Frau es mehr als einmal machen. (Wobei das auch heissen kann, dass Mutter Natur einen genialen Amnesie-Trick auf Lager hat.)
  • Ich habe über dreissig Jahre lang nie wirklich schlimme körperliche Schmerzen erleiden müssen. Und nun hatte ich auch noch das Glück einer absolut problemlosen, komplikationsfreien Schwangerschaft. Da kann das Leben nun schon von mir verlangen, für ein paar Stunden die Zähne zusammenzubeissen. Ich meine, was sind schon die paar Stunden im Vergleich zum ganzen Leben?
  • Das Leiden hat ein Ziel. Und ich werde bestimmt noch viel stolzer sein auf das Endprodukt, als damals, als mir mein Papa meinen Wackelzahn gezogen hat.
  • Egal was passiert, wenn ich es überlebe, habe ich zumindest eine gute Geschichte zu erzählen.
  • Wen du nicht besiegen kannst, mit dem solltest du dich verbünden. Also werde ich meinen eigenen Folterknecht, entschuldigung, meine eigene Hebamme mitbringen, die mir exklusiv zur Seite stehen wird. Bei diversen Verhören, entschuldigung, Untersuchen, konnten wir uns bereits etwas besser kennenlernen, so dass sie mich dann beim eigentlichen Prozess, entschuldigung, bei der Geburt sanft, aber bestimmt und so, wie wir es vereinbart haben, durch diese Stunden begleiten kann. Es beruhigt mich zu wissen, dass mir so zwei Personen zur Seite stehen werden, die ich kenne und die mich kannten, bevor ich zum schreienden Ungeheuer wurde. 
  • Da ich ja nun keine andere Wahl mehr habe, als in absehbarer Zeit zu gebären, versuche ich mich nun in Ruhe und Gelassenheit und repetiere täglich Urmutter-mässig: "Ich atme tiiief und ohne Angst. Mein Körper ist zum Gebären geschaffen. Ich werde mich öööffnneeen wie eine Lotosblume. Ich laaassee looos."
Nun sehe ich der Geburt ganz entspannt entgegen.

Nein.

Scherz.

Ich bin starr vor Angst.

Aber ich glaube, das geht wohl jeder Frau so. 


M., mein Folterknecht und ich, wir drei werden das Kind schon schaukeln.

Hausgemacht



Es gibt ja Frauen, die fernab eines Spitals, in einem Hebammenhaus oder gleich zu Hause im gemieteten Gebärpool entbinden.

Ich respektiere und bewundere sie sehr. Wirklich.
 

Wenn ich das erste Mal die Welt betreten würde, möchte ich das auch lieber bei uns zu Hause, im meiner Meinung nach sehr ästhetisch und gemütlich eingerichteten Wohnzimmer tun, als im Scheinwerferlicht eines aseptisch riechenden Gebärsaals.

Ausserdem hat man ja, wenn man Schmerzen hat und sich hundeelend fühlt, das Bedürfnis, sich an einen Ort zurückzuziehen, der einem vertraut ist, der Schutz und Geborgenheit bietet.


Frauen, die Angst vor der Geburt haben, haben oft vor allem auch Angst vor dem Spital. Logisch, in der Regel ist ein eher morbider Ort, ein Platz des Siechtums und der Schwäche. Allein der Geruch dreht manchen der Magen um. Dorthin geht man, wenn etwas ernsthaft kaputt ist. Plötzlich ist man nicht mehr "Linda Eggenschwiler" sondern "Gallenblase, Zimmer siebzehn".

Man muss
die Kontrolle abgeben, fühlt sich ausgeliefert, glaubt, vielleicht Hemmungen zu haben, sich an einem fremden Ort brüllend, schwitzend und fluchend am Boden zu wälzen und fürchtet, sich beim Gebären nach den Arbeits- und Ferienplänen der Belegschaft richten zu müssen.

Zu Hause hingegen darf man sich so viel Zeit nehmen, wie man braucht. Man kann nackt herumtanzen, Heavy Metal statt Walgesang hören, Sofakissen aufschlitzen, wenn einem das hilft, und die schlimmsten Fluchwörter herumbrüllen, die man kennt. 


Dennoch. 
Mittlerweile habe ich mich entschieden: Mein Sohn wird, so alles geplant läuft, in der hygienisch sterilen Umgebung eines Kantonsspitals das Neonlicht der Welt erblicken.

Krankenhäuser haben ja in den letzten paar Jahren von den Geburtshäusern viel dazugelernt. Es gibt Badewannen, Gym-Bälle, Matten und Majahocker. Und Babys dürfen nach der Geburt direkt zur Mutter und bleiben auch dort.


Natürlich: Gebärzimmer kommen in ihrer Heimeligkeit nicht an eine Lounge mit Sofalandschaft, offenem Kaminfeuer und kuscheligem Teppich heran. Aber sie sehen auch nicht mehr aus wie die Hinterräume einer Metzgerei. Und vor allem sind sie mit allem bestückt, was es bei einer Geburt allenfalls brauchen könnte.


Klar laufen die meisten Hausgeburten gut ab. Schliesslich wird man von einer erfahrenen Hebamme betreut. Dennoch besteht ja die klitzekleine Chance, dass doch etwas aus dem Ruder läuft.

Ich stelle mir schon die Fahrt unter normalen Wehen ins Spital etwas unangenehm vor, wie schrecklich und beängstigend muss es erst sein, nach Stunden und Stunden erfolglosen Würgens und Pressens notfallmässig mit einem halb im Geburtskanal feststeckenden Kind in die Klinik rasen zu müssen?

Und sollte es dann doch zum Schlimmsten kommen, wird man sich vermutlich ewig Vorwürfe machen.

Ich zumindest werde beruhigter gebären, wenn ich weiss, dass sich einen Stock tiefer eine hochausgerüstete Neonatologie-Abteilung befindet.
 

Aber auch wenn alles gut läuft, könnte es ja sein, dass man zwischen Küche und Bad keuchend am Garderobenhaken hängend feststellen muss, dass man die Schmerzen vielleicht doch ein klitzekleines bisschen unterschätzt hat und einen die Hebamme nun nur Globuli und Himbeerblättertee anbieten kann. Leider muss die Do-it-yourself-PDA erst erfunden werden. Und ich möchte auch nicht die ganze Nacht auf einen Kochlöffel beissen müssen, damit die Nachbarn wegen den gellenden Schreien nicht die Polizei rufen.

Obwohl: Ich würde mich theoretisch auch zu Hause schämen, mich brüllend und schwitzend und fluchend auf dem Boden zu wälzen. Aber wenn einem danach ist, ist es dann vermutlich auch egal, wo man das tut. Und wenn ich dann dabei auch noch kacken muss, dann lieber doch nicht auf meinen schönen Kirschholzparkett.

Überhaupt, die Schweinerei.

Ich bin froh, muss ich mich im Spital nicht selbst um die Sauerei, die eine Geburt anrichtet, kümmern. Denn wer als Heimgebärende erwartet, dass das der Mann erledigt, der muss damit rechnen, noch Wochen später neben Pizza- auch noch Plazentareste unter dem Sofa zu finden.
 

Nun, zum Glück dürfen Frauen heute selber entscheiden, wie und wo sie gebären möchten. Vielleicht entscheide ich mich bei einer nächsten auch für das traute Heim. Vermutlich aber eher nicht.

Denn Geburten sind was wunderbares.

So zehn Jahre später zurückblickend betrachtet.

Aber sie können auch traumatisch sein.

Und daran würde ich nicht immer erinnert werden wollen, wenn ich am Frühstückstisch sitze.

Sonntag, 21. April 2013

Gschpürschmifühlschmi



Ich bin enttäuscht, wirklich enttäuscht.

Schon Jahre vor meiner Schwangerschaft hatte es mir vor den Geburtsvorbereitungskursen gegraut. Aufgrund Erzählungen von Freundinnen, Filmen und einschlägiger Literatur hatte ich das Schlimmste erwartet.

Ich bin ja Schweizerin durch und durch und damit leider auch schwer verklemmt. Ich bin schon peinlich berührt, wenn ich bei einem Konzert im Takt mitklatschen oder man sich in einem Gottesdienst die Hände reichen muss. Ausserdem ist meine Hüfte etwa so beweglich, wie die eines 88-jährigen arthritischen Rentners. Wie also sollte ich  ein
von animalischen Stöhnlauten begleitetes Gruppenhüftkreisen überstehen? Würde man uns aus dem Kurszimmer werfen, wenn ich mir beim "Pferdeatem" oder "Äpfelschütteln" in die Hose pinkelte vor Lachen?

Auch mit allem esoterisch auch nur Angehauchtem tue ich mich schwer. Ich stehe dazu: Lieber zehnmal Bauch-Beine-Po als einmal Hatha Yoga. Beim Meditieren schlafe ich im besten Fall ein, normalerweise aber scheint mein Gehirn solche Übungen als Aufforderung zum Erstellen einer 1000-Punkte langen To-do-List zu verstehen.


Ich bin sozusagen esoterisch-gruppendynamisch andersbegabt. Was im normalen Leben selten eine Behinderung darstellt, kann unter pränatalen Umständen zu einer echten Herausforderung werden. Würde ich meiner Kurskollegin Schaden zufügen, weil es mir nicht gelang, ihr per Handauflegen positive Energien zu übertragen?
Würde sich mein Kind weigern, das Licht der Welt zu erblicken, wenn ich es nicht schaffte, sich öffnende Lotosblüten zu visualisieren? Oder mich zum Walgesang partout nicht entspannen konnte?


Ich hatte von Hebammen gehört, die sämtliche Fortschritte der modernen Medizin verteufelten und das Gebären im heimischen Schlafzimmer (vermutlich als zivilisatorisches Zugeständnis zur Alternative, der Höhle im Wald) als einzig richtige Art sahen, ein Kind auf die Welt zu bringen. Die behaupteten, Schmerzen seien durch mangelhaftes Vertrauen in den eigenen Körper selbstverschuldet, und, so sie sich denn nicht ausblenden und wegatmen liessen, allenfalls mit fröhlichem Gesang und Himbeerblättertee gedämpft werden konnten.

Ich war also auf alles gefasst. Immerhin würde ich nach dem Kurs im Bekanntenkreis meine eigene Horrorstory zu erzählen haben, dachte ich mir.


M.s Befürchtungen gingen in eine ganz andere Richtung. Er hatte raunen gehört, dass in Geburtsvorbereitungskursen Filme gezeigt werden, neben denen "Saw" an "Biene Maja" erinnert.

Und dann? Gerieten wir an eine ganz normale, durch und durch bodenständige Hebamme, die uns glasklar und ohne viel Federlesens mittels hochprofessioneller, blutfreier Powerpoint-Präsentation über Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett informierte.

Die Entspannungsübung bestand aus einer Pause mit Kaffee, Gipfeli und Früchten. Es wurde vollständig auf Energie-Transfer und animalische Laute verzichtet und das Berühren der anderen Kursteilnehmer tunlichst unterlassen.

Zugegeben, beim Herumzeigen des Epi-No gab es einige blasse Nasenspitzen (besonders unter den Männern, die nicht recht wussten, ob es sich beim betreffenden Gegenstand nun um ein Foltergerät oder doch ein Sex-Toy handelte), und als die Hebamme mit der Plüschplazenta rumwedelte, mussten wir uns alle das Lachen verkneifen.


Aber als die Kursleiterin dann auch noch unmissverständlich zu verstehen gab, dass es für Mutter und Kind keine Schande ist, bei einer Geburt (übrigens am Ort der eigenen Wahl) Schmerzmittel oder sogar eine Epiduralanästhesie anzunehmen und Männern kein Zacken aus der Krone fällt (im Gegenteil eine erfülltere postnatale Sexualität gewährleisteter ist), wenn sie sich während der Geburt am Kopfende der Frau aufhalten, ging ein hörbares Aufatmen durch den Raum.

Ich kam also fürchterlich enttäuscht aus dem Kurszimmer. 


Und so begeistert, dass ich den Kurs bei Sandra Preisig gern weiterempfehle:

www.geburts-vorbereitungskurse.ch

Männersache

Warum die so grimmig schauen? Wahrscheinlich müssen sie zum Geburtsvorbereitungskurs.

Nachdem man monatelang gebangt hat, dass das Kind drinnen bleibt, ist es nun plötzlich an der Zeit, sich auf sein Rauskommen vorzubereiten. Dazu werden epische Ausflüge in Baby- und Kinderfachgeschäfte unternommen, sämtliche weiblichen Verwandten und Bekannten, die schon geboren haben,
langen Verhören unterzogen und nächtelang einschlägige Literatur, Websites und DOK-Filme konsumiert.

Ach ja, ein Geburtsvorbereitungskurs gehört ebenfalls dazu. 

Nun wage ich aber zu behaupten, dass drei Viertel der Erstgebärenden drei Viertel der darin vermittelten Informationen kennen. Aber die Kurse sind ja nicht für Frauen, sondern für deren Männer gedacht.

Denn diese* leben bis zum  Tag des positiven Schwangerschaftstests in einem grösstenteils babyfreien Nirvana.
Und auch danach
zeigen die werdenden Väter von sich aus eher wenig aktives Interesse an den Vorgängen in der Schwangerschaft und den Herausforderungen der Geburt und des Wochenbetts.
  
Sie nehmen an, dass wir schon wüssten, was wir tun, da das Kind schliesslich in unserem Körper heranwächst. Nur weil wir einen Uterus und Eierstöcke unser eigen nennen, wüssten wir, worum es geht, wenn von Dingen wie Pucken, Kindspech, Dammschnitt, MuMu oder PDA die Rede ist. (Wohingegen es für sie in Ordnung ist, bei Kolostrum an römische Ruinen, bei Wochenbett vielleicht an John Lennon und Yoko Ono und bei Majahocker an ein neues Must-have für das designbewusste Wohnzimmer zu denken.)

Als ob uns der Gedanken, dass bald ein lebendes Menschlein zwischen unseren Beinen hervorschlüpft, rein durch die Zusammenstellung unserer Organe weniger erschrecken würde!


Ein Stück weit haben die Herren ja Recht. Bestimmt helfen uns fraunespezifische Hormone gewisse Fragen rund ums Brüten und Nesten rein intuitiv zu beantworten. Ausserdem sind
die Themen Kinder, Erziehung, Geburt und Schwangerschaft in allen seinen teilweise haarsträubenden Details unter Frauen bereits von Kindsbeinen ein Thema. Dazu muss man nur zweijährige Mädchen und ihre Puppen beobachten.

Der grösste Teil unseres Wissens aber ist hart erarbeitet. Schliesslich sind wir gezwungen, uns allerspätestens nach dem positivem Schwangerschaftstest mit den Themen zu befassen, sind wir es doch, die im entscheidenden Moment die Folgen mangelnder Vorbereitung ausbaden müssen.

Wenn sie sich ansonsten liebevoll und geduldig um uns kümmern, nehmen wir es den Vätern auch nicht übel, wenn wir diejenigen sind, welche die Vor- und Nachteile von Pampers vs. Stoffwindeln abwägen müssen, entscheiden sollen, ob und wenn ja welche Muttermilchpumpe angeschafft werden soll und nächtelang auf Ricardo nach Dondolos und Tripp Trapps suchen müssen. Wir sind noch nicht mal böse, wenn sie nicht wissen was Dondolos und Tripp Trapps sind und warum man diese unbedingt haben muss.


Nur zum Geburtsvorbereitungskurs müssen sie mitkommen, damit sie wenigstens über die rudimentärsten Basics der prä- und postnatalen Vorgänge Bescheid wissen. Anders als am heimischen Küchentisch gibt`s
da kein Entkommen. Dafür sorgen die strengen Blicke der Hebammen und die überwältigende Anzahl kugelbäuchiger Frauen. Da können sich die Herren der Schöpfung noch so sehr in die hinterste Reihe verkrümeln.

Und jetzt mal ehrlich: Die letzten paar Jahrtausende haben euch etwas Blut und ein paar verstreute innere Organe auch nicht davon abgehalten, euch mit Keulen, Schwertern und Maschinengewehren auszutoben
. Auch bei Fussballspielen machen euch ein bisschen Dreck und Gebrüll nichts aus. Da werdet ihr eine Geburt und vor allem einem Geburtsvorbereitungskurs bestimmt unbeschadet überstehen.

*Damit meine ich jetzt nicht nur meinen. Stichprobenartige, wenn auch nicht respräsentative Umfragen unter Freundinnen kamen zum selben Ergebnis.

Donnerstag, 18. April 2013

Auf die Mode pfeifen

So stilbewusst könnte man Rad fahren. Eigentlich.

Kürzlich erntete ich ein paar merkwürdige Blicke. Erst dachte ich mir nichts dabei, schliesslich ist mein Bauch nun nicht mehr zu übersehen, dass da also ab und zu fasziniert oder auch entsetzt drauf geglotzt wird, erstaunt mich nicht. Ich erschrecke selber auch immer ein bisschen, wenn ich mich unvorhofft in einem Schaufenster spiegle.

Gestarrt wurde für einmal aber nicht wegen meines Bauchumfangs, der Anlass zur baldigen Mehrlingsgeburt geben könnte, sondern wegen meines Aufzugs: verwaschener XL-Basketball-Kapuzenpulli, farbverspritzte,labbrige Pyjamahosen, fingerlose Handschuhe, Bommelmütze und Turnschuhe, die ich normalerweise zum Rasenmähen trage. Es fehlten nur noch Dosenbier, Kippe und räudiger Hund, um den Obdachlosenlook zu vervollständigen.

Dabei hatte ich nur beschlossen, wieder mal etwas Sport zu treiben. Nachdem ich mich nämlich Jahre lang drei bis vier mal die Woche fast aus dem Haus prügeln musste, vermisste ich nun, da sie mir mein Bauch verunmöglicht, tatsächlich meine Waldläufe. Bis zur 28. Woche trabte ich noch wacker meine Runden, doch dann begann mein Bauch mit Unterleibskrämpfen gegen jedes Tempo zu protestieren, das die Durchschnittsgeschwindigkeit einer 89-jährigen am Rollator überschritt. Also stellte ich die Laufschuhe in die Ecke. Und begann zu degenerieren: Bald verkam schon das morgendliche Anziehen der Kompressionsstrümpfe zum schweisstreibenden Workout.

Um dem entgegen zu wirken, beschloss ich, M. fortan bei seinem Lauftraining auf dem Velo zu begleiten. Kaum beschlossen, musste ich feststellen, dass das nicht nur mein fortgeschrittener Schwangerschaftstzustand, sondern vor allem auch mein grosser Bauch und die geschwollenen Füsse verhindern wollten. Kein einziges meiner stylishen, multifunktionalen, atmungsaktiven Sport-Outfits passten mir noch über den gewölbten Leib. Und draussen war es gefühlte Knapp-um-den-Gefrierpunkt. M.s Sportsachen trug er selbst, der Rest war in der Wäsche.

Ich fackelte nicht lange, sondern griff mir aus M.s Schrank, was bequem war und mir über den Bauch passte. Es erfüllte seinen Zweck bei der Umradlung des Flughafens Zürich. Erst als ich damit durch den Flughafen zum Bahnhof hinunter schlurfte, realisierte ich, dass ich wegen meines Aufzugs von der Flughafenpolizei kontrolliert werden könnte.


Aber wenn man schwanger ist, werden einem gewisse Dinge auf einmal so herrlich egal.