Bisher hatte ich mir immer vorgestellt, die Geburt sei vergleichbar mit einem Rendez-vous mit der spanischen Inquisition.
"Liebe werdende Mutter", würde der Folterknecht sagen, "bald werden wir dir dein Kind überreichen. Leider müssen wir dich vorher noch ein klitzekleines bisschen foltern. Du darfst dabei aber selber wählen, ob du dich lieber auf das Streckbett oder die Nagelbank legen willst. Manche bevorzugen auch das heisse Öl. Oder möchtest Du lieber ausgepeitscht werden? Wir haben in jedem Raum alles zur Verfügung, es ist auch erlaubt zwischendurch zu wechseln, je nachdem, was einem gerade mehr behagt. Und nur keine Angst, zur Schmerzlinderung haben wir ätherische Öle, Globuli und Bachblütentropfen. Und Goran, unser Folterassistent, ist in Akupunktur ausgebildet. Wir haben extra gedämpftes Licht und du darfst dazu deine Lieblingsmusik hören!"
Ich war immer felsenfest überzeugt, dass wenn ich je schwanger würde, ich lieber gar nicht mitbekommen möchte, wie das Kind aus mir herauskommt. Kreissaal soll ja wirklich von Kreischen kommen. Und Wehen heissen auch nicht Wehen, weil sie Spass machen. (Da kann man sie noch so Wellen nennen, wie das im Hypno-Birthing gemacht wird. Übrigens etwas was ich als Binnenlandbewohnerin nicht weniger furchteinflössend finde. Was Wellen anrichten können, hat man ja letztes Jahr in Japan gesehen ...)
Ich würde also beim ersten Anzeichen von WEHEN sofort die höchstmögliche Zudröhnung bestellen. Oder vielleicht lieber gleich einen Kaiserschnitt.
Ich konnte die werdenden und gewordenen Mütter nicht verstehen, die jegliche Hilfe von aussen, geschweige denn einen Kaiserschnitt, als persönliches Versagen ansehen.
Schliesslich lässt sich heute auch keiner mehr ohne Narkose Zähne ziehen, weil das "viel natürlicher" ist.
Tja, nun bin ich selber schwanger. Und plötzlich sieht alles GANZ anders aus.
Ich lernte folgendes:
- Wenn die Frau während der Geburt Medikamente bekommt, wirken die natürlich auch auf das Kind. Nicht umsonst haben wir nun neun Monate lang sogar auf Hustenbonbons verzichtet. Wenn Mutti also mit Pethidin, einem hochkarätigen Opiat, zugeknallt wird, wie angeträllert ist dann erst das arme Baby? Und das in einem Moment, in welchem beide eigentlich vollen Einsatz geben müssten!
- Eine PDA wird ins Rückenmark gespritzt. Allein schon der Gedanke lässt mich erschauern. Anschliessend ist man gezwungen, auf dem Rücken liegend zu gebären. Alle Techniken, die sonst bei einer Geburt unterstützend wirken können, also Bewegung, Baden, oder die Gebärposition Vierfüsslerstand sind dann unmöglich. Oft kommt es zu weiteren Komplikationen und/oder es muss per Saugglocke, Zange oder gar Kaiserschnitt nachgeholfen werden. Ausserdem litt eine Bekannte von mir anschliessend noch tagelang an starken Kopf- und Rückenschmerzen. Es soll gar die Gefahr bestehen, länger nicht mehr gehen zu können.
- Geplante Kaiserschnitte sind grundsätzlich des Teufels. Es gibt einen Grund, warum sich alle Säugetiere aktiv durch einen Geburtskanal pressen müssen. Angeblich ist es nicht gut, dem Kind dieses erste und wichtigste Erfolgserlebnis seines Lebens vorzuenthalten. Ausserdem ist "ein aktiv gestaltetes Geburtserlebnis" auch etwas, was mütterlichen Charakter stärkt. Und ein wichtiges Thema auf dem Spielplatz, im PEKiP-Kurs, im Babyschwimmen, im Babymassagekurs, bei der Rückbildung und wo sonst frisch Entbundene zusammenkommen, um zu plaudern. So ähnlich wie sich die Wikinger in Walhall ihre glorreichen Erlebnisse bei von ihrer letzten Schlacht erzählen. Ein paar Tropfen Schweiss, Blut und Tränen müssen da schon geflossen sein, um in den Kreis aufgenommen zu werden.
- Eigentlich ist der Körper der Frau zum Gebären geschaffen. Damit handelt es sich, im Gegensatz zum Ziehen eines Zahns, in der Tat um einen sehr natürlichen Vorgang (der von Mutter Natur vielleicht nicht ganz bis in alle Details durchdacht wurde, aber doch in den meisten Fällen funktioniert).
- Geburten verlaufen bei jeder Frau und bei jedem Kind wieder anders. Man kann sich noch so gut vorbereiten, wenn es soweit ist, kommt es ohnehin anders. Man hat keine andere Wahl, als sich darauf einzulassen.
- Und: Sie müssen gar nicht weh tun. Weh tut es vor allem, weil man sich fürchtet. Angst verkrampft den Körper und macht alles nur noch viel viel schlimmer.
Was mir wirklich hilft, ist folgendes:
- Wenn es meinem Körper gelungen ist, auf magische Art und Weise aus M.s Beitrag und einer meiner Zellen in nur neun Monaten, still und leise, praktisch ohne dass ich es bemerkt habe, ein fixfertiges, quicklebendiges Baby zu zaubern, dann wird er es auch fertigbringen, es aus mir herauszubefördern. Ich muss ihm nur vertrauen.
- Wenn es wirklich so grausam wäre, würde keine Frau es mehr als einmal machen. (Wobei das auch heissen kann, dass Mutter Natur einen genialen Amnesie-Trick auf Lager hat.)
- Ich habe über dreissig Jahre lang nie wirklich schlimme körperliche Schmerzen erleiden müssen. Und nun hatte ich auch noch das Glück einer absolut problemlosen, komplikationsfreien Schwangerschaft. Da kann das Leben nun schon von mir verlangen, für ein paar Stunden die Zähne zusammenzubeissen. Ich meine, was sind schon die paar Stunden im Vergleich zum ganzen Leben?
- Das Leiden hat ein Ziel. Und ich werde bestimmt noch viel stolzer sein auf das Endprodukt, als damals, als mir mein Papa meinen Wackelzahn gezogen hat.
- Egal was passiert, wenn ich es überlebe, habe ich zumindest eine gute Geschichte zu erzählen.
- Wen du nicht besiegen kannst, mit dem solltest du dich verbünden. Also werde ich meinen eigenen Folterknecht, entschuldigung, meine eigene Hebamme mitbringen, die mir exklusiv zur Seite stehen wird. Bei diversen Verhören, entschuldigung, Untersuchen, konnten wir uns bereits etwas besser kennenlernen, so dass sie mich dann beim eigentlichen Prozess, entschuldigung, bei der Geburt sanft, aber bestimmt und so, wie wir es vereinbart haben, durch diese Stunden begleiten kann. Es beruhigt mich zu wissen, dass mir so zwei Personen zur Seite stehen werden, die ich kenne und die mich kannten, bevor ich zum schreienden Ungeheuer wurde.
- Da ich ja nun keine andere Wahl mehr habe, als in absehbarer Zeit zu gebären, versuche ich mich nun in Ruhe und Gelassenheit und repetiere täglich Urmutter-mässig: "Ich atme tiiief und ohne Angst. Mein Körper ist zum Gebären geschaffen. Ich werde mich öööffnneeen wie eine Lotosblume. Ich laaassee looos."
Nein.
Scherz.
Ich bin starr vor Angst.
Aber ich glaube, das geht wohl jeder Frau so.
M., mein Folterknecht und ich, wir drei werden das Kind schon schaukeln.
Genau!! Du schaffst das! ;o)
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