Sonntag, 21. April 2013

Gschpürschmifühlschmi



Ich bin enttäuscht, wirklich enttäuscht.

Schon Jahre vor meiner Schwangerschaft hatte es mir vor den Geburtsvorbereitungskursen gegraut. Aufgrund Erzählungen von Freundinnen, Filmen und einschlägiger Literatur hatte ich das Schlimmste erwartet.

Ich bin ja Schweizerin durch und durch und damit leider auch schwer verklemmt. Ich bin schon peinlich berührt, wenn ich bei einem Konzert im Takt mitklatschen oder man sich in einem Gottesdienst die Hände reichen muss. Ausserdem ist meine Hüfte etwa so beweglich, wie die eines 88-jährigen arthritischen Rentners. Wie also sollte ich  ein
von animalischen Stöhnlauten begleitetes Gruppenhüftkreisen überstehen? Würde man uns aus dem Kurszimmer werfen, wenn ich mir beim "Pferdeatem" oder "Äpfelschütteln" in die Hose pinkelte vor Lachen?

Auch mit allem esoterisch auch nur Angehauchtem tue ich mich schwer. Ich stehe dazu: Lieber zehnmal Bauch-Beine-Po als einmal Hatha Yoga. Beim Meditieren schlafe ich im besten Fall ein, normalerweise aber scheint mein Gehirn solche Übungen als Aufforderung zum Erstellen einer 1000-Punkte langen To-do-List zu verstehen.


Ich bin sozusagen esoterisch-gruppendynamisch andersbegabt. Was im normalen Leben selten eine Behinderung darstellt, kann unter pränatalen Umständen zu einer echten Herausforderung werden. Würde ich meiner Kurskollegin Schaden zufügen, weil es mir nicht gelang, ihr per Handauflegen positive Energien zu übertragen?
Würde sich mein Kind weigern, das Licht der Welt zu erblicken, wenn ich es nicht schaffte, sich öffnende Lotosblüten zu visualisieren? Oder mich zum Walgesang partout nicht entspannen konnte?


Ich hatte von Hebammen gehört, die sämtliche Fortschritte der modernen Medizin verteufelten und das Gebären im heimischen Schlafzimmer (vermutlich als zivilisatorisches Zugeständnis zur Alternative, der Höhle im Wald) als einzig richtige Art sahen, ein Kind auf die Welt zu bringen. Die behaupteten, Schmerzen seien durch mangelhaftes Vertrauen in den eigenen Körper selbstverschuldet, und, so sie sich denn nicht ausblenden und wegatmen liessen, allenfalls mit fröhlichem Gesang und Himbeerblättertee gedämpft werden konnten.

Ich war also auf alles gefasst. Immerhin würde ich nach dem Kurs im Bekanntenkreis meine eigene Horrorstory zu erzählen haben, dachte ich mir.


M.s Befürchtungen gingen in eine ganz andere Richtung. Er hatte raunen gehört, dass in Geburtsvorbereitungskursen Filme gezeigt werden, neben denen "Saw" an "Biene Maja" erinnert.

Und dann? Gerieten wir an eine ganz normale, durch und durch bodenständige Hebamme, die uns glasklar und ohne viel Federlesens mittels hochprofessioneller, blutfreier Powerpoint-Präsentation über Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett informierte.

Die Entspannungsübung bestand aus einer Pause mit Kaffee, Gipfeli und Früchten. Es wurde vollständig auf Energie-Transfer und animalische Laute verzichtet und das Berühren der anderen Kursteilnehmer tunlichst unterlassen.

Zugegeben, beim Herumzeigen des Epi-No gab es einige blasse Nasenspitzen (besonders unter den Männern, die nicht recht wussten, ob es sich beim betreffenden Gegenstand nun um ein Foltergerät oder doch ein Sex-Toy handelte), und als die Hebamme mit der Plüschplazenta rumwedelte, mussten wir uns alle das Lachen verkneifen.


Aber als die Kursleiterin dann auch noch unmissverständlich zu verstehen gab, dass es für Mutter und Kind keine Schande ist, bei einer Geburt (übrigens am Ort der eigenen Wahl) Schmerzmittel oder sogar eine Epiduralanästhesie anzunehmen und Männern kein Zacken aus der Krone fällt (im Gegenteil eine erfülltere postnatale Sexualität gewährleisteter ist), wenn sie sich während der Geburt am Kopfende der Frau aufhalten, ging ein hörbares Aufatmen durch den Raum.

Ich kam also fürchterlich enttäuscht aus dem Kurszimmer. 


Und so begeistert, dass ich den Kurs bei Sandra Preisig gern weiterempfehle:

www.geburts-vorbereitungskurse.ch

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