Samstag, 27. Oktober 2012

Schock


Ich quetschte mich durch das Getümmel mehrerer Dutzend Verwandten, die alle fröhlich plaudernd, Weingläser und beschriftete Plastikbecher in der Hand haltend auf der sonnigen Terrasse stehen, stieg über die rotznasigen, wahllos verstreuten Kleinkinder am Boden, kletterte auf einen der Tische und brüllte: "Hey Leute, alle mal herhören! Ich bin schwanger!"

Lieber nicht. Doch mit einem Mal hatte mich jegliche zwischenmenschliche Kommunikationskompetenz verlassen. Um Himmels Willen, worüber sprachen die Leute bloss, wenn sie nicht gerade herausgefunden hatten, dass sie schwanger waren?

So verwandelte sich ein notorisches Plappermaul an diesem Nachmittag in eine äusserst angenehme Zuhörererin. Immer höflich nickend und schön lächelnd. Meine Lieben mögen mir verzeihen, wenn ich jetzt zugebe, beim besten Willen nicht sagen zu können, was sie mir an diesem Tag alles erzählten. Eine Stimme in meinem Kopf schrie unaufhörlich: SCHWANGER!! SCHWANGER!!


Nur einmal erwachte ich kurz aus meiner Erstarrung und äusserte grosses Interesse an A.s Kinderwagen, der anscheinend alles konnte ausser Brötchen backen. Ansonsten aber war alles wie immer: Trotz angeblicher Schwangerschaft mochte ich auch dieses Jahr weder Tante F.s guten Reissalat noch Tante G.s berühmte Caramelcrème essen. Auch beim Anblick des fröhlichen Gewimmels am Planschbecken verspürte ich keine mütterlichen Gefühle.

Im Gegenteil: Ich hatte mich noch nie so sehr nach einem Glas Wein gesehnt. Einem grossen. Angehende Väter können ihren Schock wenigsten mit Alkohol dämpfen. Schwangere hingegen müssen sich schonungslos der kristallklaren, flutlichtbeleuchteten Realität stellen, die da heisst:

Egal wie es nun weitergeht, dein Leben wird nie, niemals wieder so sein wie zuvor.

 

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