Mittwoch, 31. Oktober 2012
Sorgen über Sorgen
Kürzlich schrubbelte ich wohlgemut die Etiketten von leeren Honiggläsern, als mir plötzlich der stechende Geruch des Wundbenzins in die Nase stieg. Ein kalte Hand erfasste mein Herz. Im nächsten Moment raste ich aus der Küche, schlug die Tür hinter mir zu und stellte mich auf den Balkon, um tief durchzuatmen. Ob die giftigen Dämpfe dem Kind geschadet haben könnten?
Bis anhin wägte ich mich ja in Sicherheit: Ich verzichtete brav auf Alkohol, Medikamente und Koffein und das Rauchen hatte ich schon vor Jahren aufgeben. Wie falsch ich lag. Wer hätte geahnt, welche ungeheuren Gefahren in meinem direkten Umfeld lauerten?
Leider gehöre ich ja nicht zu den relaxten Schwangeren, die an einem Fest auch mal ein Glas Wein trinken oder sich sogar eine Zigarette gönnen und lautstark verkünden, sie hätten in der Schwangerschaft auf gar nichts verzichtet, nicht mal ein Buch darüber gelesen und es hätte dem Kind "ämel gar nüt gschadt"! Die noch im neunten Monat eine Alp betreuen, einen Marathon rennen, mit dem Rucksack durch Afrika trampen, Firmen aufkaufen, Leute entlassen und verächtlich auf die schwangeren Luschen schauen, die es sich ab dem dritten Monat lieber mit einer grossen Tafel Schokolade und einem herzschonenden Disneyfilm auf dem heimischen Sofa gemütlich machen.
Nein ich gehörte zu den Schwangeren, die jedes Munkeln und jede noch so obskure Studie für bare Münze nahmen. Wer wusste schliesslich ganz sicher, ob nicht doch etwas dran war? Bestand auch nur der klitzekleinste Zweifel, dass etwas dem Kleinen schaden könnte, verzichtete ich aus Vorsichtsgründen lieber ganz darauf.
Dass ich nicht ganz allein war mit diesen Problemen, bewies die Häufige-Fragen-Liste auf swissmom.ch. Und auf babycenter.ch. Und auf netmoms.de. Damit öffnete ich erst recht die Büchse der Pandora:
Kinder von Frauen die während der Schwangerschaft viel Lakritze gegessen hatten, hatten ein grösseres Risiko, später ein ADHS zu entwickeln. Sofort musste mein geliebter Ingwer-Zitronentee in den hintersten Winkel des Schranks ziehen. Er enthielt Süssholz.
Schwangeren wird vom Konsum von Weichkäse und Rohmilchprodukten abgeraten. Sie erkranken zwölfmal so leicht an Listeriose, was zu einer Fehlgeburt oder einer schweren Erkrankung des Säuglings führen kann. Schwupp verschwand mein Bio-Ziegenkäse, den ich gern in den Salat gemischt hatte, in M.s Rachen. Am besten würde ich vielleicht gleich ganz auf Salat verzichten, denn auch darauf seien schon Listerien gefunden worden. Und auf Sprossen. Und rohem Fleisch und Fisch. Immerhin das war für mich als Vegetarierin kein Problem. Dann las ich, Listeriose könnte sogar durch Geschlechtsverkehr übertragen werden. Musste ich nun auch M. zum Verzicht auf diese Lebensmittel bewegen? Oder könnte gar die vegetarische Ernährung, die mir sechzehn Jahre lang gut getan hatte, dem Kind schaden?
Schwangere Frauen, die viel Fast-Food essen, schaden ihrem Baby damit genau so, wie wenn sie rauchen würden. Babys, deren Mütter in der Schwangerschaft oft Pommes assen und damit Acrylamid aufnahmen, sind leichter, haben einen kleineren Kopfumfang und ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Osteoporose. Um Himmels Willen und ich hatte doch bis anhin fröhlich Dinge wie fritierte Falafelbällchen (wegen der folsäurehaltigen Kichererbsen), Mais-Chips (in Kombination mit Omega3-haltigem Avocado-Dipp)und Rösti (weil sie mir einfach schmeckt) gefuttert. Asche über mein Haupt.
Der wohltuende Entspannungstag im Römisch-Irischen-Badetempel, den M. und ich uns gegönnt hatten?
Die Pilze! Die Bakterien im Whirlpool! Das heisse Wasser! Die hohen Temperaturen! unkte der virtuelle Chor.
Das Pilates-Training, das ich trotz wachsendem Powerhouse-Umfang tapfer weiterbetrieb? Aber die geraden Bauchmuskeln sollten doch nicht mehr trainiert werden!
Weitere Dinge, die ich anscheinend meiden sollte:
Induktionskochherde, Katzen (sowie Kühe, Lämmer und am besten gleiche alle behaarten und geflügelten Tiere), Saunas, Berggipfel, direkte Sonne, Ozon, Eisfelder, Rückenlage, Judo-Matten, lange Telefonate mit dem Handy, Grippekranke, Power-Plates und vieles mehr.
Glücklicherweise hielt die Panikstimmung nur ein paar Tage an.
Dann realisierte ich: Frauen werden sich von dem Moment an, da sie die zwei rosa Streifen sehen, kontinuierlich und unaufhörlich Sorgen um ihr Kind machen. Und zwar solange, bis sie tot sind. (Doch wer weiss das schon genau. Vielleicht sitzen sie auch im Himmel noch auf den Wolken, beobachten mit dem Fernglas ihren Nachwuchs und zischen: Junge, pass doch auf mit dem Rollator!)
Denn mit dem positiven Test in der Hand ist aus einer Frau eine Mutter geworden.
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