Sonntag, 23. Dezember 2012
Heimweh
Kürzlich ist es wieder passiert. Ich musste weinen. Heulen wie ein Schlosshund. M. stürzte erschrocken ins Wohnzimmer, erlitt aber sogleich einen Lachkrampf, nachdem er die Tränen fachmännisch als schwangerschaftsinduziert beurteilt hatte: Im Fernsehen wurden nämlich Aufnahmen von Appenzeller Sylvesterchläusen gezeigt, die vor eindrücklicher Bergkulisse ihre Zäuerli zum Besten gaben.
Mittlerweile wäre M. nicht mal mehr aus der Ruhe zu bringen, wenn mir plötzlich grüne Haare wachsen würden: Er hat sich daran gewöhnt, dass schwangere Frauen alle möglichen schrägen, aber harmlosen Macken und Zipperlein entwickeln. (In der Regel reagierte er mit liebevoller Gelassenheit, wenn ich gerade wieder austickte, weil mir mein Bauch für die entsprechende Schwangerschaftswoche zu gross oder zu klein schien, oder ich plötzlich tagelang nur noch Älplermagronen essen wollte und anschliessend in Panik geriet, weil ich überzeugt war, unser Kind mit einer Überdosis Muskatnuss vergiftet zu haben.)
Ich war aber nicht so leicht zu beruhigen. Bisher hatte ich in keinem Buch und auf keiner der vielen einschlägigen Websites darüber gelesen, dass es in der Schwangerschaft üblich war, beim Anblick von Bergpanoramen und singenden Männern in wunderlicher Kleidung weinen zu müssen.
Warum also passierte es mir immer wieder?
Für die Lösung des Rätsels musste ich mich zur Selbstanalyse auf meine imaginäre Couch legen. Meine imaginäre Therapeutin setzte sich in den imaginären Ohrensessel, schaute kurz auf ihr imaginäres Klemmbrett und sagte dann: "Es hat etwas mit Ihrem Inneren Kind zu tun". Nun, darauf wäre ich auch selber gekommen. Es MUSSTE mit dem inneren Kind zu tun haben. Nämlich dem, das gerade in mir wuchs. Vor der Schwangerschaft hatte ich schliesslich auch nie geheult, wenn ich Berge sah.
"Und mit Ihrem Vater. Und Ihrer Mutter", beeilte sich die Therapeutin zu ergänzen.
Klar. Seelische Sperenzchen haben IMMER mit den Eltern zu tun. Das konnte sogar mein bodenständiges Ich nachvollziehen.
Kurz schweiften meine Gedanken ab, um sich zu sorgen, wie ich wohl mein Kind mal verkorksen würde.
"Zurück zum Thema", sagte meine Therapeutin. "Ihre Eltern. Was haben sie mit den Bergen zu tun?" "Nun, mein Vater ist ein begeisterter Berggänger. Und meine Mutter ist in den Bergen aufgewachsen. Meine eigene Bergliebe liegt mir also im Blut. Und nun wird diese eben auf mein Kind übertragen!" Rätsel gelöst! Schon wollte ich von der Couch springen.
"Nicht so hastig", mahnte die Therapeutin. "Wie fühlt es sich denn an, dieses Weinen?" Wie es sich anfühlt? Traurig natürlich. Irgendwie sehnsüchtig, wie Heimweh. "Ha", rief die Therapeutin, "Da haben wirs! Heimweh!"
Wie aber konnte ich, derzeit wieder im Haus meiner Kindheit lebend, beim Anblick von Bergen Heimweh verspüren? Zumal die Gegend, in der ich ausgebrütet, geboren und aufgewachsen war, so nichts, rein gar nichts mit Bergen zu tun hatte? Im Gegenteil war sie gemeinhin unter dem etwas abschätzigen Begriff "Agglo" bekannt.
Wenn ich es mir so recht überlegte, musste ich zugeben, dass wohl kaum einer, der hier aufwuchs, stolz auf seine Herkunft ist. Und warum sollte er, ist der Ort doch nicht viel mehr als eine unwillkürliche Ansammlung von anonymen Wohnblocks und einer Handvoll Einfamilienhäuser, kern- und zentrumslos, eingeklemmt zwischen Auto- und Eisenbahn. Ein Schlafplatz. Weder Stadt noch Land. Ausser der Migros und der Dönerbude gibt es kaum ein Geschäft, das hier wirklich floriert. Vereine müssen trotz der grossen Anzahl Einwohner um jedes Mitglied bangen. Das Leben findet anderswo statt.
Und vor allem bildet sich hier, fernab von Sylvesterchläusen, Tschäggättä, Morgenstraich, Schwingete, Albanifest und Alpabzug, keine identitätsstiftende Gemeinschaft, keine regionale Eigenheit, kein Brauchtum, keine Tradition, die von einer Generation zur nächsten übertragen wird.
Mit Schrecken stellte ich fest: Es ist ein Ort ohne Seele! Ich fühlte mich plötzlich wie ein entwurzelter Baum. Die Therapeutin reichte mir ein imaginäres Pack Taschentücher und lächelte selbstgefällig.
Wollte ich hier wirklich ein Kind aufziehen? Das Kind, das ich mit Tränen in den Augen erst vor kurzem das allererste Mal gesehen hatte, auf einem Bildschirm in einer Arztpraxis, fröhlich und völlig unbekümmert in meinem Bauch herumturnend, nicht wissend, welche tiefe Liebe mich bereits mit ihm verband, welche Gedanken ich mir bereits um sein Wohlergehen und seine Zukunft machte?
Der Anblick der singenden Sylvesterchläuse, der Berge, löste in mir eine Sehnsucht aus nach einem Ort, den das Kind würde Heimat nennen können. Einen Ort, den es in der Fremde mit Stolz auch als solche würde bezeichnen können. Einen Ort, den es sogar Jahre, nachdem es ihn zum Studieren, Reisen oder Arbeiten verlassen hat, noch besuchen wird, wenn das Dorffest oder der grosse Umzug oder was auch immer stattfindet. Nicht nur, weil es dort seine alten Schulkameraden und Nachbarn wiedersehen wird, sondern auch weil es Tradition ist. Und dann, wenn es gross ist, wird es vielleicht seine Kinder hier aufziehen wollen.
Nun musste ich nur noch M. überzeugen, dass wir von unserem hässlichen, aber verkehrstechnisch sehr günstig erschlossenen Wohnort in den Kanton Appenzell ziehen mussten. Oder ins Engadin. Oder ins Lötschental.
M. war sofort dafür. Wenn er Hausmann werden durfte und ich fortan täglich die zweieinhalb bis drei Stunden Pendlerzeit auf mich nehmen würde, um unser Brötchen zu verdienen.
Ausserdem, argumentierte er, unsere Familien und Freunde waren hier. Wenn uns schon hier in der Agglo kaum jemand besuchte (Treffen fanden stets in der nahe gelegenen Grossstadt statt), würden wir in einem idyllisch, aber abgelegenen Weiler wohl erst recht vereinsamen. Und bestimmt unterschätzten wir auch, wie lange es dauern würde, in einem Dorf als Zugezogene akzeptiert zu werden. Natürlich hatte er Recht.
Ich dachte an meine eigenen Kindheit zurück, die ich im erwähnten Vorstadtsiedlungsbrei verbracht hatte. Dazu noch in den 80ern. War sie trostlos und elend gewesen? War ich aufgrund der mangelnden Dorfgemeinschaft, der fehlenden Traditionen innerlich leer und seelenlos geworden? Nein. Meine Kindheit war eine erfüllte und reiche Zeit gewesen.
Wir haben Schneehütten und Tipis gebaut. Wir haben Geschichten erfunden, Schlangenbrot gebacken und Hexensuppen gebraut. Haben Kaulquappen gefangen und den Königsnachtkerzen beim Aufgehen zugesehen. Wir sind barfuss durch den Schnee gerannt. Sind in der Badi vom Fünfmeterbrett gesprungen. Haben den Osterhasen gesucht, uns vor dem Samichlaus gefürchtet und das Christkindli herbeigesehnt.
Eine Kindheit wird schliesslich nicht nur von dem Ort geprägt, an dem sie stattfindet, sondern auch von den Eltern.
Als Mutter kann ich aktiv dazu beitragen, dass mein Kind ein paar schöne Erinnerungen an seine Kindheit im Herzen haben wird. Egal wo es aufwächst.
Und als ich kürzlich aus dem Fenster auf die dunkle Quartierstrasse sah, nur erleuchtet von der Leuchtreklame des Thai-Restaurants gegenüber, da fielen plötzlich weisse Flocken vom Himmel und mit ihnen tauchten Samichläuse auf, die mit ihren Schmutzli und ihren Eseln und einer Schar Kinder und Erwachsener mit Fackeln und Laternen vom Wald her die Strasse hinunterzogen.
Später erfuhr ich, dass es sich dabei um den Chlauseinzug gehandelt hatte, der übrigens JEDES JAHR stattfinde.
Ab nächstem Jahr bin ich auch dabei.
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Donnerstag, 22. November 2012
Hallo Welt
Kürzlich überraschte ich mich selbst beim Lesen eines ganzseitigen Artikels. Nicht eines in der Wir Eltern. Nicht eines im Nido. Eines in der Neuen Zürcher Zeitung. Nicht zum Thema Pränatale Diagnostik. Nicht zum Thema Schreibaby. Eines zum Thema Rohstoffe in Grönland und die Frage, ob das Land Förderrechte an China abtreten sollte oder nicht. Und wenn ja, welche Konsequenzen das haben würde. Und warum ausser China derzeit weder die EU noch die USA an Grönlands verborgenen Schätzen interessiert ist.
Die Welt hat mich wieder.
Der allererste positiven Schwangerschaftstest löst ja einen Wirbelsturm der Fragen aus. Er rast mitten in das bisher beschauliche und wohlgeordnete Leben und lässt einem völlig zerzaust und mit offenem Mund zurück. Mein Gehirn kam mir vor wie ein A-Promi im Blitzlichtgewitter: Gehirn, Gehirn! Wie soll es denn nun mit S. nach der Schwangerschaft weitergehen? Wird sie weiterhin arbeiten? Und wenn ja wie viel? Gehirn, beantworten Sie Ihren Fans die Frage, ob S. plant, im Spital oder im Hebammenhaus zu gebären? Na, Gehirn, wissen Sie schon, wo das Bettchen stehen wird? Unsere Leserschaft möchte wissen, ob sich S. schon Gedanken gemacht hat zur Windelfrage. Stoff oder Papier? Gehirn, heute gilt es früh zu entscheiden, ob nach der Geburt gleich mit dem Impfplan begonnen werden soll, wissen Sie dazu schon mehr? Gehirn! Ein Freund der Familie hat uns mitgeteilt, dass S. und M. vorerst kein Interesse an einer Hochzeit haben. Sagen Sie, was soll denn mit S. und dem Baby geschehen, wenn M. etwas zustösst?
Panisch rannte ich vom Zivilstandesamt zur Bank, las mich durch Babyratgeber und einschlägige Magazine, vergoogelte unzählige Stunden im Internet um Vor- und Nachteile von Dondolos zu eruieren und die Diskussion Tummytub vs. Flexibath zu verfolgen und sprang mitten in der Nacht aus dem Bett, um potentielle Wickeltisch-Standorte auszumessen. Jeder, der das Pech hatte, mir in dieser Zeit zu begegnen wurde entweder monothematisch vollgequasselt oder, so er selber schon Kinder hatte, einem Kreuzverhör unterzogen, das der spanischen Inquisition Ehre gemacht hätte. Kurz: Ein paar Wochen lang befand ich mich im Neuschwangeren-Ausnahmezustand.
Nun, mit Beginn des zweiten Trimesters, scheine ich den Blick wieder vom Mikrokosmos in mir auf die Welt um uns herum lenken zu können. Die Welt, in der mein Kind aufwachsen wird.
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Sonntag, 11. November 2012
Die natürlichste Sache der Welt
Als ich so durch den Wald trabte, begann es zu regnen. Dicke fette Tropfen fielen mir auf Kopf und Nase. Innert kurzer Zeit war ich durchnässt. Dennoch fühlte ich mich so fröhlich wie schon lange nicht mehr.
Eigentlich bin ich ja ein totaler Sportmuffel. Sport interessierte mich lange gar nicht - weder auf noch abseits dem Bildschirm. Sportsachen waren dazu da, zu Hause bequemer auf dem Sofa fläzen zu können. Sportlehrer werden sich, wenn überhaupt, nur an einen Teenie erinnern, der mit schwarzem Riesen-Shirt und Pijamahosen übellaunig in der entferntesten Ecke der Turnhalle rumlungerte. Ich war nie gut in Sport und wollte es auch nicht sein.
Die Verzweiflung
Etwa mit 24 realisierte ich, dass ich nicht ewig würde Schokolade essen können, ohne mich in das Star-Wars-Monster Jabba zu verwandeln. Erst verzichtete ich auf Schokolade. Nach zwei Tagen wurde mir klar: Ein Leben ohne ist keins. Also warf ich mich notgedrungen in T-Shirt und ausgeleierte Sofahosen und besuchte zum ersten Mal im meinem Leben ein Fitnessstudio.
Ich weiss nicht, was schlimmer war: Die Maschinen, die an Möbel einer mittelalterlichen Folterkammer erinnerten? Die dazu passende sado-masochistische Stimmung? Der antiseptische Geruch? Die anzüglich bis debil stöhnenden Muskelprotze?
Es sei nicht überall so, trösteten mich Freundinnen. Also ging ich in ein anderes. Dort herrschte zwanghafte Nein-was-sind-wir-jung-cool-schön-und-sportlich-Stimmung, der Dresscode schien mir anspruchsvoller als bei einem Dinner bei der Queen und alle schminkten sich VOR dem Sport. Sogar die Jungs. Klar dass ich auffiel wie eine Eringer Kuh im Gazellengehege. Aber ich war ja hier, um Sport zu treiben.
Doch auch damit war ich, gelinde gesagt, komplett überfordert. Die Moves verlangten von jedem Körperteil etwas anderes, gleichzeitig, versteht sich. (Ich habe leider schon Mühe, wenn ich gleichzeitig reden und atmen soll. Gibt es eigentlich einen politisch-korrekten Ausdruck für die Schwäche, nicht zwei verschiedene Dinge gleichzeitig tun zu können? Psycho-motorisch-anders-begabt vielleicht?) Der als entspannend angepriesene Yogakurs war auch nicht besser: Der Leistungsdruck unter den Teilnehmern war schlimmer als an einer chinesischen Balletschule.
Die Erleuchtung
Ich war verzweifelt. Und ausserdem blank. Ich hätte mir das Fitnessstudio nicht leisten können, selbst wenn ich es gewollt hätte. In meiner Not holte ich ein Paar Turnschuhe aus der Verbannung und rannte um den nächstgelegenen Wald. Es war die Entdeckung der natürlichsten Sache der Welt. Laufen. Da war nur ich und die Welt. Keiner stöhnte, keiner guckte, keiner schrie mich an ("Na los! Noch drei! Noch zwei!!"). Ich brauchte, ausser Schuhen, kein Material. Ich konnte laufen, wann ich wollte, wohin ich wollte, so schnell (oder langsam) ich wollte und so weit ich wollte. Und es war absolut gratis.
Dass es zu einer Sucht geworden ist, kann ich nicht behaupten. Zwar laufe ich nun schon mehr als acht Jahre regelmässig, doch noch immer gibt es Tage, an denen ich mich überwinden muss, die Laufschuhe anzuziehen. Wenn es regnet zum Beispiel. Aber sobald ich losgelaufen bin, fühle ich mich einfach super. Ok, meistens jedenfalls.
Darum hoffe ich, dass mir das Laufen auch während der Schwangerschaft nicht vergeht. Denn regelmässiges, moderates Ausdauertraining ist auch für das Baby gut: Es trainiert sein Herzchen und macht es stresstoleranter. Manche Forscher behaupten sogar, die Kinder werden dadurch schlauer und sportliche Mütter hätten eine leichtere Geburt. Sicher ist: Geht es der Mama gut, geht es auch dem Baby gut. Und wenn ich laufe, geht es mir gut.
Nachtrag
Schwanger laufen geht nur mit dem richtigen Sport-BH. Am besten lässt man sich in einem Sport- oder Dessousgeschäft beraten. Bei der Anprobe testlaufen oder -hüpfen. Klingt doof, aber nur so findet man heraus, ob er wirklich alles gut beisammen hält. Ich persönlich habe die besten Erfahrungen mit Odlo und dem Modell "High Ultimate Fit" gemacht. Zwar ärgern mich die etwas rauen Nähte an der Innenseite, aber er stützt wirklich wunderbar.
Sonntag, 4. November 2012
Fett
Kürzlich musste ich leer schlucken. Ich stiess auf Bilder des Models Gisele Bündchen. Im sechsten Monat.
Ich meine, klar ist die Frau Model von Beruf. Dennoch würde wohl sogar so manche nichtschwangere Frau sofort mit Gisele Bündchens 6-Monate-Figur tauschen.
Eigentlich bin ich zu beneiden. Ich sehe zur Zeit, bauchumfangmässig gesehen, etwa so aus wie sie.
Nur bin ich im dritten.
Besorgt hatte mich die Praxisassistentin beim letzten Besuch auf mein angestiegenes Gewicht aufmerksam gemacht. Als sie mein bestürztes Gesicht sah, beeilte sie sich zu erklären, es könne natürlich auch am Wasser liegen, dass man einlagere.
Am Wasser?
Ich vermutete eher, dass es an meinen unglücklichen Liebschaften lag. An der leidenschaftlichen Beziehung mit schwarzer Nussschokolade. An der innigen Liebe zu Curries mit Kokosmilch. An Myukos Verführungskünsten. An den knusprigen Mais-Chips mit hausgemachter Guacamole, am sagenhaft guten Hunky-Punky Schokoladen-Glace von Booja-Booja, und vor allem auch an meiner neuen Angewohnheit, meist zweimal zuzugreifen. Ich hatte schon immer einen gesunden Appetit. Nun aber habe ich HUNGER.
Jetzt zeigte sich der gravierende Nachteil mangelnder Übelkeit in den ersten drei Monaten. Das Regenwetter und die Müdigkeit hatten das ihre dazu beigetragen, dass ich mein Pilatestraining und meine Waldläufe nicht mehr mit derselben eisernen Disziplin absolvierte, wie sie mir noch vor der Schwangerschaft noch zu eigen war.
Die Folge: 2.6 Kilos Hüftgold in knapp fünf Wochen. Uff.
Es war hart. Tränenreich verabschiedete ich mich von meinem Schokoladenvorrat. Wir einigten uns auf eine Fernbeziehung, bei der wir uns zumindest am Wochenende treffen würden. Statt Curries würden fortan Suppen und Salate auf dem Speiseplan stehen. Ich nahm meine Waldläufe wieder auf. Und ich fand auf Youtube jede Menge Fitness-Filmchen für Schwangere. Etwa von Karla. (Wer hier lockere Entspannungsgymnastik erwartet, wird enttäuscht. Ich fühlte mich noch zwei Tage später, als hätte mich ein Deutscher Schäferhund in den Po gebissen.) Auch Pilates- oder Yoga-Anleitungen finden sich für Schwangere.
In der Zwischenzeit orientiere ich mich lieber an den Fotos der schwangeren Lily Allen oder Drew Barrymore. Das macht mich nicht so deprimiert.
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Samstag, 3. November 2012
Gäähn
Ich bin einer jener Kleingeister, denen es trotz aller guten Vorsätze nicht gelingt, über so profanen Dingen wie Dreck und Unordnung zu stehen. Dreck und Unordnung machen mich konfus und unglücklich. Versinkt unser Zuhause im Chaos, kann ich mich auf nichts mehr konzentrieren. Pechmarie ähnlich stolpere ich dann durch die Räume und halte mir die Ohren zu, weil es aus allen Ecken und Enden in stetig ansteigender Lautstärke seufzt und klagt: "Saug mich, ich bin so schrecklich staubig!", "Falte mich, falte mich, ich liege schon seit Tagen in diesem Wäschekorb!" oder "Bitte, bitte, putz mich, ich stinke zum Himmel!" (Schade nur, dass die Goldmarie nach getaner Arbeit kein Goldregen erwartet. Dafür ein paar Tage Seelenfrieden.)
Gäähn.
Also taumle ich auch nun, da Müdigkeit zum ständigen Begleiter geworden ist, mit Wischmopp und Staubsauger durchs Haus. Ungeheure Willensstärke ist vonnöten, um mich beim Bettenmachen nicht gleich wieder in die Federn zu stürzen. Sei es im Zug, beim Einkaufen, beim Duschen, beim Mittagessen, am Telefon, ein Teil von mir befindet sich derzeit stets im Tiefschlaf.
Am allerschlimmsten aber ist das Arbeiten am Computer. Allzuoft ertappe ich mich dabei, wie ich minutenlang auf den Bildschirm starre, ohne zu verstehen, was ich eigenlich gerade lese (oder schreibe). Ratgeber empfehlen ja, sich regelmässig draussen zu bewegen. Aber wenn auch an der frischen Luft die Lebensgeister erwachen, bin ich von meinem Waldlauf zurück an der Wärme, könnte ich mich erst Recht aufs Ohr hauen.
Gääähn.
Kürzlich stiess ich auf www.unclutterer.com, der Online-Bibel aller ordungsliebenden Menschen (und nebenbei bemerkt auch guter Ratgeber zur grümpellosen Einrichtung und Organisation von Kinderzimmern) auf ein Kissen, das mir in der jetzigen Situation sehr entgegenkäme, da es Schlafen jederzeit und überall möglich macht. Schade hat es keinen Platz in meiner Handtasche.
Jetzt mal ernsthaft. Sollte einem die dauernde Müdigkeit schon mal darauf vorbereiten, dass man die nächsten paar Jahre nur noch halb wach durchs Leben schlurfen wird?
Zum Glück bin ich (GÄÄÄÄÄHN!) gerade zu müde, um mir dazu ernsthaft Gedanken zu machen.
Mittwoch, 31. Oktober 2012
Sorgen über Sorgen
Kürzlich schrubbelte ich wohlgemut die Etiketten von leeren Honiggläsern, als mir plötzlich der stechende Geruch des Wundbenzins in die Nase stieg. Ein kalte Hand erfasste mein Herz. Im nächsten Moment raste ich aus der Küche, schlug die Tür hinter mir zu und stellte mich auf den Balkon, um tief durchzuatmen. Ob die giftigen Dämpfe dem Kind geschadet haben könnten?
Bis anhin wägte ich mich ja in Sicherheit: Ich verzichtete brav auf Alkohol, Medikamente und Koffein und das Rauchen hatte ich schon vor Jahren aufgeben. Wie falsch ich lag. Wer hätte geahnt, welche ungeheuren Gefahren in meinem direkten Umfeld lauerten?
Leider gehöre ich ja nicht zu den relaxten Schwangeren, die an einem Fest auch mal ein Glas Wein trinken oder sich sogar eine Zigarette gönnen und lautstark verkünden, sie hätten in der Schwangerschaft auf gar nichts verzichtet, nicht mal ein Buch darüber gelesen und es hätte dem Kind "ämel gar nüt gschadt"! Die noch im neunten Monat eine Alp betreuen, einen Marathon rennen, mit dem Rucksack durch Afrika trampen, Firmen aufkaufen, Leute entlassen und verächtlich auf die schwangeren Luschen schauen, die es sich ab dem dritten Monat lieber mit einer grossen Tafel Schokolade und einem herzschonenden Disneyfilm auf dem heimischen Sofa gemütlich machen.
Nein ich gehörte zu den Schwangeren, die jedes Munkeln und jede noch so obskure Studie für bare Münze nahmen. Wer wusste schliesslich ganz sicher, ob nicht doch etwas dran war? Bestand auch nur der klitzekleinste Zweifel, dass etwas dem Kleinen schaden könnte, verzichtete ich aus Vorsichtsgründen lieber ganz darauf.
Dass ich nicht ganz allein war mit diesen Problemen, bewies die Häufige-Fragen-Liste auf swissmom.ch. Und auf babycenter.ch. Und auf netmoms.de. Damit öffnete ich erst recht die Büchse der Pandora:
Kinder von Frauen die während der Schwangerschaft viel Lakritze gegessen hatten, hatten ein grösseres Risiko, später ein ADHS zu entwickeln. Sofort musste mein geliebter Ingwer-Zitronentee in den hintersten Winkel des Schranks ziehen. Er enthielt Süssholz.
Schwangeren wird vom Konsum von Weichkäse und Rohmilchprodukten abgeraten. Sie erkranken zwölfmal so leicht an Listeriose, was zu einer Fehlgeburt oder einer schweren Erkrankung des Säuglings führen kann. Schwupp verschwand mein Bio-Ziegenkäse, den ich gern in den Salat gemischt hatte, in M.s Rachen. Am besten würde ich vielleicht gleich ganz auf Salat verzichten, denn auch darauf seien schon Listerien gefunden worden. Und auf Sprossen. Und rohem Fleisch und Fisch. Immerhin das war für mich als Vegetarierin kein Problem. Dann las ich, Listeriose könnte sogar durch Geschlechtsverkehr übertragen werden. Musste ich nun auch M. zum Verzicht auf diese Lebensmittel bewegen? Oder könnte gar die vegetarische Ernährung, die mir sechzehn Jahre lang gut getan hatte, dem Kind schaden?
Schwangere Frauen, die viel Fast-Food essen, schaden ihrem Baby damit genau so, wie wenn sie rauchen würden. Babys, deren Mütter in der Schwangerschaft oft Pommes assen und damit Acrylamid aufnahmen, sind leichter, haben einen kleineren Kopfumfang und ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Osteoporose. Um Himmels Willen und ich hatte doch bis anhin fröhlich Dinge wie fritierte Falafelbällchen (wegen der folsäurehaltigen Kichererbsen), Mais-Chips (in Kombination mit Omega3-haltigem Avocado-Dipp)und Rösti (weil sie mir einfach schmeckt) gefuttert. Asche über mein Haupt.
Der wohltuende Entspannungstag im Römisch-Irischen-Badetempel, den M. und ich uns gegönnt hatten?
Die Pilze! Die Bakterien im Whirlpool! Das heisse Wasser! Die hohen Temperaturen! unkte der virtuelle Chor.
Das Pilates-Training, das ich trotz wachsendem Powerhouse-Umfang tapfer weiterbetrieb? Aber die geraden Bauchmuskeln sollten doch nicht mehr trainiert werden!
Weitere Dinge, die ich anscheinend meiden sollte:
Induktionskochherde, Katzen (sowie Kühe, Lämmer und am besten gleiche alle behaarten und geflügelten Tiere), Saunas, Berggipfel, direkte Sonne, Ozon, Eisfelder, Rückenlage, Judo-Matten, lange Telefonate mit dem Handy, Grippekranke, Power-Plates und vieles mehr.
Glücklicherweise hielt die Panikstimmung nur ein paar Tage an.
Dann realisierte ich: Frauen werden sich von dem Moment an, da sie die zwei rosa Streifen sehen, kontinuierlich und unaufhörlich Sorgen um ihr Kind machen. Und zwar solange, bis sie tot sind. (Doch wer weiss das schon genau. Vielleicht sitzen sie auch im Himmel noch auf den Wolken, beobachten mit dem Fernglas ihren Nachwuchs und zischen: Junge, pass doch auf mit dem Rollator!)
Denn mit dem positiven Test in der Hand ist aus einer Frau eine Mutter geworden.
Montag, 29. Oktober 2012
Ruhe vor dem Sturm
Jeden Morgen erwachte ich sprungbereit. Ich lauschte vorsichtig in mein Inneres, oder besser: meine Innereien, bereit, sofort zur am Vorabend sauber geschrubbten Toilette zu rennen. Ich hatte sogar überlegt, dort gedämpfteres Licht zu installieren und einen kuschligen Teppich, vielleicht sogar ein paar Kissen auf die Fliesen zu legen, damit ich mich dort in den kommenden Wochen und Monaten wohler fühlen würde.
Aber jeden Morgen erwachte ich und fühlte mich so munter wie an jedem anderen Tag.
Die Nebenwirkungen der Frühschwangerschaft lasen sich für gewöhnlich ja fast wie die Symptome einer seltenen tropischen Krankheit: Verändertes Geruchs- und Geschmacksempfinden, metallischer Geschmack im Mund, Heisshunger, Sodbrennen, Verstopfung, Hautverfärbungen, Stimmungsschwankungen, geringere Belastbarkeit, Harndrang, extreme Müdigkeit, Verfärbung der Brustwarzen, erhöhte Temperatur, leichte Blutungen, Schwindel, Zahnfleischbluten, Kurzatmigkeit, Schlaflosigkeit ...
Die einzige Veränderung die ich tatsächlich an mir feststellen konnte, war zu M.s Freude die Tatsache, dass ich fast aus meinen BHs platzte. Leider hatte er nicht viel davon, denn eine Zeit lang war mir jede Berührung zuwider.
Ich könnte schwören, dass ich jedes Mal, wenn ich bloss geglaubt hatte, schwanger zu sein, mehr Schwangerschaftsanzeichen zeigte, als nun, da ich tatsächlich in Erwartung war.
Doch freute ich mich darüber, bis jetzt eine so beschwerdefreie Schwangerschaft genossen zu haben? Dankte ich dem Himmel, dass es mir so gut ging? Nein. Von Tag zu Tag wurde ich misstrauischer. War es nicht seltsam, dass ich so gar keine Schwangerschaftsanzeichen zeigte?
Nachdem ich mich also, statt zu arbeiten, durch alle Schwangerschaftssymptome und -beschwerden gegoogelt hatte, die das englisch- und deutschsprachige Internet zu bieten hatte, fing ich nun an, "Schwangerschaft keine Verstopfung", "Schwangerschaft keine Müdigkeit" oder "Schwangerschaft keine Übelkeit" zu suchen.
Das schreckliche Ergebnis: Frauen mit starker Übelkeit zeigten erhöhte Werte des Schwangerschaftshormons HCG. Es sei ein Indiz dafür, dass sich die Schwangerschaft sehr gut entwickle, ausserdem hätten sie weit seltener Fehlgeburten.
Fortan interpretierte ich jedes Zwicken im Bauch als Anzeichen einer drohenden Fehlgeburt. Ich war in ständiger Alarmbereitschaft. Mit zugekniffenen Augen marschierte ich stramm an Kinderfachgeschäften vorbei. Ich bin sonst nicht abergläubisch, aber in diesem Fall war ich überzeugt, es würde Unglück bringen, auch nur ein einziges niedliches Söckchen zu kaufen.
Eines Abends sass ich mit M. vor dem Fernseher. Wir schauten uns irgendeinen Unsinn an, weil wir beide zu faul waren, umzustellen. Es kam eine Werbung für Halsbonbons, die ein atmosphärisches Bergpanorama zeigte. Und urplötzlich schossen mir die Tränen in die Augen und ich begann, wie ein Schlosshund zu heulen. "Was ist denn, was hast du?" fragte M. besorgt. "Die Berge, sie sind so schön!" schluchzte ich.
M. begann zu lachen und dann realisierte ich: Ich weinte Sturzbäche wegen einer Halsbonbon-Werbung. Das MUSSTE doch ein Schwangerschaftsanzeichen sein!
Am nächsten Tag kaufte ich einen Strampler.
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Schwurbli
Angestrengt starrte ich auf das Schwarz-Weiss-Foto in meiner Hand. Irgendwie glich es einer sehr schlechten Aufnahme eines sehr einsamen Tiefdruckgebietes über Mitteleuropa.
Soeben hatte mir die Frauenärztin meine Schwangerschaft bestätigt. Ganz nüchtern und vernünftig klang sie dabei, als wäre das ganz normal, das plötzlich jemandem ein zweiter Mensch im Bauch heranwächst.
Ist es ja auch. Eigentlich.
Als ich anrief, um mich anzumelden, lief das etwa so ab:
Ich (sehr aufgeregt): "Grüezi, ich hätte gern einen Termin bei Fr Dr. B."
Praxisassistentin (kurz angebunden): "Für eine Jahreskontrolle?"
Ich (nervöses Kichern unterdrückend): "Ja, äh, nein. Ich bin schwanger, also, ich glaube ich bin es."
Praxisassistentin (verwirrt): "Also, sind Sie schwanger oder nicht?"
Ich (im Versuch überzeugend zu klingen): "Ich glaube schon."
Praxisasstintin (geduldig): "Haben Sie denn schon einen Test gemacht?"
Ich: "Ja."
Praxisasstintin (etwas weniger geduldig): "Und war er denn positiv?"
Ich (etwas verzweifelt): "Ja schon, aber ich habe nur einen gemacht. Vielleicht war der ja falsch. Weil, also, ich merke noch gar nichts. Müsste ich besser noch einen machen?"
Praxisasstintin (seufzt, realisiert aber, dass sie es mit einem besonders einfältigen Wesen zu tun hat und verspürt bereits Mitleid mit dem Ungeborenen, spricht langsam und deutlich): "Es kann vorkommen, dass der Test nicht positiv anzeigt, obwohl Sie schwanger sind. Wenn der Test aber positiv ausgefallen ist, sind Sie mit grosser Sicherheit schwanger."
Ich (verlegen): "Aha."
Praxisasstintin (belehrend): "Der Test misst ein bestimmtes Hormon im Urin, er kann also gar nicht positiv ausschlagen, wenn kein solches Hormon vorhanden ist." Steht schliesslich in jeder Bedienungsanleitung, Sie Trantüte.
Ich (noch verlegener): "Ach so."
Praxisassistentin (tief durchatmend): "In welcher Woche sind Sie denn?"
Ich: "Ich habe keine Ahnung, wissen Sie, mein Zyklus war immer so ungenau und darum weiss ich nicht genau, also, wann, ähm, es passiert ist ... Also wir waren eben noch in den Ferien und dann ..."
Ich erspare euch den Rest.
Als ich M. stolz das allererste Bild unseres Kindes zeigte (schau hier, ja das Weisse da, nein, hier, dieser Fleck hier, der aussieht wie ein Erdnüsschen!), starrte er eine Weile angestrengt darauf und fragte dann: "Das kleine Geschwurbel hier?"
Manche nennen ihres ja Menschli, Brösmeli, Murkel, Zwergli, Gummibärli oder Pünktli.
Nie hätte ich gedacht, dass ich mal bei einem solchen Unsinn mitmachen würde.
Aber seit dieser Unterhaltung nannten wir unser eigenes Bauchwunder "Schwurbli".
Samstag, 27. Oktober 2012
Schock
Ich quetschte mich durch das Getümmel mehrerer Dutzend Verwandten, die alle fröhlich plaudernd, Weingläser und beschriftete Plastikbecher in der Hand haltend auf der sonnigen Terrasse stehen, stieg über die rotznasigen, wahllos verstreuten Kleinkinder am Boden, kletterte auf einen der Tische und brüllte: "Hey Leute, alle mal herhören! Ich bin schwanger!"
Lieber nicht. Doch mit einem Mal hatte mich jegliche zwischenmenschliche Kommunikationskompetenz verlassen. Um Himmels Willen, worüber sprachen die Leute bloss, wenn sie nicht gerade herausgefunden hatten, dass sie schwanger waren?
So verwandelte sich ein notorisches Plappermaul an diesem Nachmittag in eine äusserst angenehme Zuhörererin. Immer höflich nickend und schön lächelnd. Meine Lieben mögen mir verzeihen, wenn ich jetzt zugebe, beim besten Willen nicht sagen zu können, was sie mir an diesem Tag alles erzählten. Eine Stimme in meinem Kopf schrie unaufhörlich: SCHWANGER!! SCHWANGER!!
Nur einmal erwachte ich kurz aus meiner Erstarrung und äusserte grosses Interesse an A.s Kinderwagen, der anscheinend alles konnte ausser Brötchen backen. Ansonsten aber war alles wie immer: Trotz angeblicher Schwangerschaft mochte ich auch dieses Jahr weder Tante F.s guten Reissalat noch Tante G.s berühmte Caramelcrème essen. Auch beim Anblick des fröhlichen Gewimmels am Planschbecken verspürte ich keine mütterlichen Gefühle.
Im Gegenteil: Ich hatte mich noch nie so sehr nach einem Glas Wein gesehnt. Einem grossen. Angehende Väter können ihren Schock wenigsten mit Alkohol dämpfen. Schwangere hingegen müssen sich schonungslos der kristallklaren, flutlichtbeleuchteten Realität stellen, die da heisst:
Egal wie es nun weitergeht, dein Leben wird nie, niemals wieder so sein wie zuvor.
Freitag, 26. Oktober 2012
Wie sag ich`s meinem Liebsten?
Später las ich in einschlägigen Foren die ach so schnuckligen Geschichten, wie werdende Mütter die zukünftigen Väter informierten: Da wurden mit Filzstiften Babys auf Bäuche gemalt, Mini-Finkchen im Schuhschrank versteckt, Adventskalender mit Nuggis präpiert und positive Tests unter dem Kopfkissen versteckt. (Ja, ja. Alles gaanz, gaanz süss. Aber mal ehrlich: Verpieselte Sachen unter dem Kopfkissen? Um sich schon mal daran zu gewöhnen, dass man es in absehbarer Zeit mit Fäkalien zu tun haben wird?)
Ich hätte M. auch gern mit einem in späteren Erzählungen jööh-generierenden Einfall überrascht. In der Realität aber entschied ich aus mir im Nachhinein nicht mehr ganz ersichtlichen Gründen an einem Samstagmittag zehn Minuten vor Abfahrt an das jährliche Familientreffen auf das schicksalsträchtige Stäbchen zu pinkeln. Vermutlich, weil ich nicht im Traum daran dachte, es könnte positiv anzeigen. Im Gegenteil. Nach nunmehr doch einigen Versuchen, die alle hartnäckig einstrichig ausfielen, wollte ich diesmal einfach einen handfesten Beweis dafür, mich abermals von meinem unzuverlässigen Eierstock getäuscht haben zu lassen, sowie einen Freipass, um am baldigen Fest soviel Alkohol zu trinken, wie mir beliebte.
Darum setzte ich mich diesmal auch nicht auf den Badewannenrand, um mit zitternden Fingern gefühlte drei Stunden beschwörend auf das weisse Plastik-Orakel zu starren, sondern putzte mir betont locker die Zähne, versuchte gleichzeitig total cool, mein Haar in Form zu bringen und überlegte, ob zu meinem Kleid eher die braunen oder die schwarzen Sandalen angebracht wären.
Und dann. Ja dann. Sah ich eine rosa Linie. Und noch eine, aber nicht so richtig. Oder doch? Nein. Oder? "Duuu-uu!" brüllte ich also in Richtung grafisch bewandertem und auch sonst gut ausgebildetem, sowie in der Regel sehr rational denkendem M., dem ich aufgrund dieser Eigenschaften besser als mir selbst zutraute, eine korrekte Anzahl Linien wiederzugeben. M. betrat das Badezimmer, wo ich dem Ärmsten das verpieselte Stäbchen unter die Nase hielt. "Ein oder zwei Linien?" fragte ich.
Doch mittlerweile konnte ich es selber erkennen. Klar und deutlich. "Ich glaub, ich bin schwanger", hörte ich mich sagen. Es klang so merkwürdig und absurd, dass ich in teeniehaftes Gekicher verfiel. "Und wir haben nicht mal Rimuss, um anzustossen!" M. strahlte über das ganze Gesicht. Dann drückte er mich fest. Zehn Sekunden lang waren wir ein Ausbund an gemeinsamem Glück.
Doch plötzlich packte mich Panik. Sich zu freuen schien mir irgendwie falsch. Vielleicht war der Test ja kaputt, er hatte doch schon eine Weile im Schränkchen gelegen! Und wie viele Frauen verloren ihr Kind in den ersten Wochen, warum sollte ich da eine Ausnahme bilden? Ich hatte Angst, mich zu früh zu freuen. Das Ätsch-Bätsch würde unweigerlich kommen, ich wusste es.
Ausserdem fühlte ich mich auch gar nicht schwanger. Gut, meine Brüste glichen prallen Wasserballons und in wenigen Stunden würde ich feststellen, dass ich beim Kuchen, den ich gebacken hatte, die Butter vergessen hatte.
Aber ansonsten war mir pudelwohl. Das konnte ja nur ein schlechtes Zeichen sein.
"Du hast Recht", sagte M auf meine Befürchtungen hin besorgt. "Vielleicht machst Du besser am Montag noch einen oder zwei Tests. Dann wissen wir es sicher. Oder vielleicht gehst Du gleich zum Frauenarzt, der kann es dann doch mit Bestimmtheit sagen." "Und auf jeden Fall sagen wir es noch gar gar niemandem, gell?" ergänzte ich.
Wir versuchten also, ernst zu schauen und uns NICHT zu freuen. Doch wieder kicherte ich, als ob ich zwölf und M. Justin Bieber wäre. Auch M. fiel es schwer, nicht zu grinsen.
"Du, aber WENN es jetzt doch so wäre, ja, also, was machen wir dann?" fragte ich, plötzlich nervös. "Ich muss jetzt leider los", sagte M. "Warte, nein, wir müssen das doch jetzt besprechen, du kannst jetzt nicht gehen", rief ich aufgeregt. "Warum musstest du den Test denn ausgerechnet jetzt machen", fragte M, "du wusstest doch, dass ich auf den Zug muss."
"Bleib, lass uns nicht allein!" schrie ich dramatisch. "Ich weiss genau, du wirst jetzt Panik kriegen und abhauen und erst in elf Jahren wieder vor unserer Tür stehen und unser Sohn wird mich fragen: Mama, wer ist der fremde Mann?!"
Wir lachten beide. Ich vielleicht ein kleines bisschen hysterisch.
Mittwoch, 24. Oktober 2012
Zwei rosa Linien
Schweizer sind sich ja Pünktlichkeit gewöhnt. Ich bilde da keine Ausnahme. Steht der Zug nicht spätestens eine Minute vor Abfahrt auf dem angekündigten Gleis, setze ich, wie die meisten anderen Passagiere auch, eine verkniffene Miene auf und beginne, nervös mit den Füssen zu scharren.
Dennoch reagierte ich betont locker, als sich meine Regel verspätete. Ich hatte mich damit abfinden müssen, dass mein Eierstock beschlossen hatte, sich fahrplanmässig eher an der Italienischen als an der Schweizerischen Eisenbahn zu orientieren, als ich ihm nach Jahren der Hormonkontrolle freien Lauf liess. Daran konnten weder Akupressur noch Mönchspfefferpräparate etwas ändern. Mein Eierstock war eine launische Diva, die beliebte zu ovulieren, wann es ihr gerade in den Kram passte.
Nachdem ich aber zwei Wochen lang nur noch mit einem Superpack Tampons ausgerüstet das Haus verlassen hatte, ohne sie zu brauchen, bei drei verschiedenen Gelegenheiten im letzten Moment den Wein wieder ausgespuckt hatte und mich M. ganz nebenbei fragte, ob meine Brüste gewachsen wären, benötigte ich Klarheit.
Also beschloss ich, auf das Stäbchen zu pinkeln, das zuhinterst im Badezimmerkasten vor sich hin gammelnd auf seinen Einsatz wartete. Ohne mich nochmal zu besinnen, riss ich das Ding aus seiner Packung und ... ja eben, tat, was frau tun muss.
Und dann ...
... zwei rosa Linien.
Dennoch reagierte ich betont locker, als sich meine Regel verspätete. Ich hatte mich damit abfinden müssen, dass mein Eierstock beschlossen hatte, sich fahrplanmässig eher an der Italienischen als an der Schweizerischen Eisenbahn zu orientieren, als ich ihm nach Jahren der Hormonkontrolle freien Lauf liess. Daran konnten weder Akupressur noch Mönchspfefferpräparate etwas ändern. Mein Eierstock war eine launische Diva, die beliebte zu ovulieren, wann es ihr gerade in den Kram passte.
Nachdem ich aber zwei Wochen lang nur noch mit einem Superpack Tampons ausgerüstet das Haus verlassen hatte, ohne sie zu brauchen, bei drei verschiedenen Gelegenheiten im letzten Moment den Wein wieder ausgespuckt hatte und mich M. ganz nebenbei fragte, ob meine Brüste gewachsen wären, benötigte ich Klarheit.
Also beschloss ich, auf das Stäbchen zu pinkeln, das zuhinterst im Badezimmerkasten vor sich hin gammelnd auf seinen Einsatz wartete. Ohne mich nochmal zu besinnen, riss ich das Ding aus seiner Packung und ... ja eben, tat, was frau tun muss.
Und dann ...
... zwei rosa Linien.
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