Donnerstag, 23. Mai 2013

Paris und das Leben


Ich hatte mich mit Hilfe meines imaginären Coachs, der mich wie ein Rugbyteam mit markigen Sprüchen und viel Gebrüll für das Spiel fit machte, vorbereitet:

Coach: Mädel, ich weiss, du stehst vor der grössten Herausforderung deines Lebens! Aber ich sage dir, du wirst sie schaffen!!! Denn was bist du?
Ich, piepsend: Stark?
Coach: Ich kann dich nicht hören!
Ich, lauter: Stark!!

Coach:
Jawohl!! Staark! Gott weiss, du hast schon ganz anderes geschafft!
Ich: Genau!!
Coach: Dein Körper ist dafür geschaffen!! Du wirst jetzt da rausgehen und allen zeigen, was Du drauf hast! Du wirst diese Scheisswehen sowas von fertig machen!!
Ich, hüpfe und schreie: Jaaa!
Coach: Du wirst das für Dein Kind tun, denn du bist jetzt eine Mama!! Geh da raus und gebäre!!!
Ich, renne hin und her und brülle: Jawohl!!!! Groooooaaaarrrh!!!

Tja, und jetzt hänge ich da welk auf der Ersatzbank und werde einfach nicht aufgerufen.

Seit nunmehr vier Wochen sind wir bereit für unseren Nachwuchs. Seit neun Tagen ist das Kind überfällig. Ich befinde mich im Mutterschafts-, M. sich im Vaterschaftsurlaub. 
Eigentlich hätte ich es ja gar nicht eilig, zu gebären. Ich fühle mich noch immer ausgesprochen wohl, so lange ich nicht allzu lange stehen oder schwer tragen muss und regelmässig die Möglichkeit erhalte, etwas zu essen und nachts neun Stunden zu schlafen. Auch Hebamme und Ärzte waren bei jeder Kontrolle zufrieden mit mir.
Klar, die Kompressionsstrümpfe treiben mich in den Wahnsinn und langsam aber sicher habe ich die Nase voll von den paar wenigen Klamotten, die mir noch über die dicke Kugel passen. Steigen die Temperaturen an, verwandeln sich meine Zehen und Finger in dicke Würstchen. Ich vermisse das Joggen, das Velofahren, das Inline-Skaten, das Wandern und das Buddeln im Garten. Es ist nicht lustig, jedes Mal nach M. zu krähen, wenn ich vom Sofa aufstehen will. Und ich freue mich auf mein Baby (auch wenn ich mir noch überhaupt nicht vorstellen kann, wie dann das Leben mit ihm sein würde). Aber ansonsten hätte ich eigentlich gar kein Problem damit, noch ein paar Wochen länger schwanger zu sein.


Wir hätten doch noch nach Paris fahren können, mault M.

Ab Woche 36 war mir der Gedanke, mich weiter als 50 km vom Spital und meiner Hebamme zu entfernen, geschweige denn noch ins Ausland zu fahren, gar nicht mehr geheuer gewesen. Darum hatte ich M.s Vorschlag, in den Frühlingsferien noch nach Paris zu fahren, kategorisch abgelehnt. Bestimmt kommt das Kind zu früh, sagte ich. Ich bin ganz sicher. Und ich habe gar keine Lust, im Louvre mein Fruchtwasser zu vergiessen. Ausserdem weiss ich noch nicht mal, was "Muttermund" auf Französisch heisst. Bouche de maman??
Paris ist ja nicht Afrika, meinte M. Und wenn das Kind in Paris zur Welt käme, wäre das doch auch noch eine gute Geschichte. 

Gute Geschichte?! Ja, vielleicht so in zehn Jahren!

Aber nun, da sich unser Sohn auch über eine Woche nach dem errechneten Termin nicht zeigen will, und am ganzen weiten Horizont nicht mal eine klitzekleine Übungswehe zu sehen ist, muss ich M. Recht geben. Wir hätten locker noch eine Woche nach Paris gekonnt. Ja vermutlich hätten wir sogar noch durch den gesamten afrikanischen Kontinent trampen können und wären dennoch rechtzeitig zurück im Land der High-Tech-Spitäler und guten Gesundheitssysteme gewesen.

Eben dieses drohte nun aber mit der Einleitung. Die Plazenta könnte nun überaltert sein, heisst es. Das Kind könnte nicht mehr richtig versorgt sein. Ich stellte mir die Plazenta wie ein runzliges altes Mütterchen vor, das nach Mottenkugeln riecht und in der Ecke der Gebärmutter schielend vor sich hin sabbert, statt meinem Kind zu schauen. Kein schöner Gedanke. Aber noch weniger gefiel mir die Idee, dass eine bis an die Zähne bewaffnete Polizeischwadrone unser nichtsahnendes Kind mit Gewalt aus seinem besetzten Häuschen trieb.


Der kleine Nesthocker wohnt dann bestimmt noch mit dreissig bei uns, seufzt M. Ich sehe schon viel früher Probleme: Wenn alle laufen und unser noch immer am Boden rumturnt. Wenn alle sprechen und unser sich noch immer vor allem mit Gesten und Schreien verständigt. Wenn alle eine Lehrstelle haben, nur unser noch immer nicht weiss, was er will.

Und genau das ist der springende Punkt: Wir sind es uns so gewohnt, dass praktisch alles nach Plan abläuft oder sich zumindest so lenken lässt, wie wir das möchten.

Ein Kind zu bekommen ist eine der letzten grossen Reisen ins Unbekannte.


Und Geduld ist wohl eine der wichtigsten Eigenschaften für Eltern.

Wie heisst es so schön: Das Gras wächst nicht schneller, wenn du daran ziehst.


Aso versuchen wir uns jetzt in Geduld. Vielleicht macht er sich ja doch noch selber auf den Weg?

Aber das Warten zermürbt. Und der Gedanke an die Einleitung macht mir wirklich unheimlich Angst. Auch weil dann mein ganzer schöner Plan mit der Beleghebamme nicht aufgeht, denn in diesem Fall übergibt sie an das Spitalteam. Auf eine normale Geburt hatte ich mich mental vorbereitet, nun aber muss ich nochmal umdenken.

Andererseits: Was ist schon eine "normale" Geburt?

Freitag, 17. Mai 2013

Warten auf Bébé


Es sind die letzten Tage in Freiheit. Die letzten Tage nur zu zweit. Geniessen sollten wir sie, sagen uns alle.

Stattdessen rase ich durch Haus und Garten, sauge, bügle, jäte, mähe, putze, wische und schrubbe und mache letzte Ausflüge in Umstandkleiderläden, um (noch mehr) Still-BHs und Nuschitüchter zu kaufen.
 

Jetzt ist alles bereit. 
Das Babybett ausgesucht und zusammengebaut, das Kind beim Kinderarzt und der Versicherung angemeldet, vom Wickelkissen über das Pucktuch bis zur Brustwarzencrème schlicht alles besorgt, was besorgt werden kann.
Der Geburtsvorbereitungskurs besucht, Atemtechniken geübt, das Spital besichtigt und die Anfahrt je nach Verkehrssituation besprochen.
Der Gemüsegarten bepflanzt, der Rasen gemäht und das Staudenbeet gejätet.
Die Wohnung geputzt, also das Bad, die Küche, sogar den Kühlschrank und die Fenster und sämtliche Textilien gewaschen und getrocknet.
Alle unsere Freunde und Verwandten nochmal getroffen, die Haare geschnitten, Mails beantwortet und Rechnungen bezahlt.
M. im Vaterschaftsurlaub.


Der grosse Tag kam und ging. Das Kind blieb im Bauch.

Etwas ratlos hängen wir seither herum und versuchen uns im letzten Punkt auf der Liste: Geniessen.

Nur geht das in der 41. Woche nicht mehr so gut.

Ausflüge? Nur noch in die nächste Umgebung.
Velofahren? Unbequem.
Wandern? Anstrengend.
Sex? Unbequem. Und anstrengend. (Obwohl es ja die Wehen anregen würde ...)
Wellness? Die würden mich in meinem Zustand wohl nicht mehr reinlassen. Keiner will die Verantwortung übernehmen (geschweige denn die Sauerei aufwischen), wenn ich im Rhassoul oder im Blütendampfbad niederkäme.
Essen gehen? Nach der letzten Schwangerschaftskontrolle inklusive Messung des Gewichts hat auch das den Spassfaktor verloren. (Folgende Tiere fielen mir bei Anblick der Zahl ein: Seekuh. Walross. Elefant.)

Glücklicherweise finden wir jetzt doch noch einige hochschwangerentauglichen Beschäftigungen. Man muss sich einfach überlegen, was man mit einer rüstigen, wenn auch 93-jährigen Tante unternehmen würde. 

Gemütliches Spazieren.
Schiff fahren.Scrabble spielen.
Ins Museum gehen. (Klappstühlchen keinesfalls vergessen. Und anschliessend gute Vorsätze über den Haufen werfen und Kuchen im Museumscafé essen.)
Lesen.
Schlafen. 

Filme gucken. (Zum Beispiel "Der erste Schrei".)

Ab und zu fragt M.: Und, tut sich schon was? Und ich (lausche kurz in mich hinein) und antworte: Nö.


Gelegentlich beult sich mein Bauch wild in alle Richtungen. "Wenn er nach dir kommt, will er vermutlich schon lange raus, findet aber den Ausgang nicht!" spottet M. "Wenn er nach dir kommt, ist er ein so schlimmer Trödler, dass er erst kommt, wenn wir ihm ernsthaft mit der Einleitung drohen", gebe ich zurück, während ich versuche, mich auf dem Sofa in eine bequeme Lage zu manövrieren und geflissentlich meine Zehen ignoriere, die mehr und mehr kleinen, weissen Chipolata-Würstchen gleichen.


Nachdem ich überzeugt war, das Kind käme zu früh und ich sei noch nicht bereit, sorge ich mich nun, dass das Kind nicht selber rauskommen will. Denn spätestens 10 Tage nach Termin soll nachgeholfen werden. Ich bin ja eine sehr gastfreundliche Person und verstehe es daher als Kompliment, dass das Baby sich bei mir so wohl zu fühlen scheint. Darum geht mir ein brachialer Rauswurf auch so gegen den Strich. Ausserdem kann er alle möglichen Komplikationen nach sich ziehen. (Eine weitere, aber nicht sehr ratsame Beschäftigung für überreife Schwangere: Internetrecherchen. Lieber auf Facebook bei The skeptical mother bewegende Geburtsgeschichten und Babyfotos anschauen!)

Das ist nämlich das Blöde am sogenannten Übertragen. Man hat Zeit, sich Sorgen zu machen.


Aber auch mehr Zeit, sich zu freuen.

Und Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude.

Donnerstag, 16. Mai 2013

Ach wie gut, dass niemand weiss ...


Einen Namen für ein Kind zu finden, ist nicht einfach. Ich weiss nun, wovon ich rede. Denn im Gegensatz zur Wahl des Kinderbettchens (die nebenbei bemerkt auch nicht einfach war) ist es eine Entscheidung fürs Leben.

Doch ähnlich wie bei Tattoo-Motiven scheinen sich manche dabei trotzdem nicht allzu viele Gedanken zu machen. Oder sie hassen ihr Kind. Warum sonst würden Eltern ihren Sprössling Tarzan taufen? Wollen sie damit sicher gehen, dass ihr Kind auch bestimmt einen einzigartigen Namen hat? Leider gelingt das noch nicht einmal mit einem Namen wie Orgetorix. Da sind mir auch schon zwei bekannt.

Kein Scherz: Allein in der Schweiz soll es sieben Kinder mit dem Namen Tarzan geben. Ausserdem ein Dutzend Kleopatras, 56 Divas, vier Madonnas, 4 Laser, 13 Kings  und 47 Amors*.


Aber auch Mütter und Väter, die sich für einen Noah oder eine Mia entscheiden, strafen ihr Kind. Die Chance, dass sie in der Schule nämlich nicht ganz die einzigen mit dem Namen sein werden, ist angesichts der Tatsache, dass die Namen in den letzten Jahren die Hitlisten stürmten, relativ gross. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird das Kind, zwecks besserer Unterscheidung, einen wenig schmeichelhaften Spitz- oder Beinamen erhalten.

Wir hatten uns entschieden, bei der Namenssuche nach dem Ausschluss-Verfahren vorzugehen:
  • Nachdem das Geschlecht des Kindes klar war, konnten wir schon mal alle weiblichen Namen ignorieren.
  • Aus nachvollziehbaren Gründen ebenfalls gestrichen wurden Namen wie Adolf, Saddam, Wladimir und Osama (von letzterem soll es übrigens ebenfalls 46 Stück geben in der Schweiz). 
  • Danach entfernten wir alle Namen, die in den letzten Jahren die Hitlisten dominierten: Nebst Noah also auch Namen wie Luca, David, Lionel und Simon.
  • Und diejenigen der Kinder unserer Freunde und Verwandten. ("Namensklau" soll ja schon langjährige Freundschaften beendet haben).
  • Im vornhinein ausgeschlossen wurden Namen, die bezüglich Orthografie oder Aussprache Unsicherheiten aufkommen lassen könnten. Nichts ist nerviger, als wenn jeder neue Lehrer nach einem verunsicherten Blick auf die Namensliste erstmal fragen muss: "Wie spricht man das aus?" Nur um es beim nächsten und übernächsten Mal wieder falsch zu machen, bis man nicht mehr den Nerv aufbringt, ihn zu korrigieren. 
  • Aus diesem Grund fielen auch alle Namen weg, die englisch, italienisch oder französisch ausgesprochen werden müssten, um schön zu klingen. 
  • Wir wollten keinen Namen, der klang als hätten wir ihn willkürlich aus möglichst vielen Vokalen zusammengebaut. 
  • Es durfte auch nichts allzu Ausgefallenes, Exotisches sein. In Kombination mit unseren gutbürgerlichen Nachnamen würde das einfach nur lächerlich wirken.
  • Da wir beide teilweise in lehrender Tätigkeiten beschäftigt waren, kamen einige Namen nicht in Frage, weil sie in negativer Weise an ehemalige Schüler erinnerten. 
  • Unsere Liste wurde aber auch darum immer kürzer, weil wir feststellen mussten, dass wir wie in Sachen Musik auch, ganz unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was schön klingt.
  • Und dann war da noch der Haken mit der Bedeutung der Namen. Zwar kenne ich etliche Philipps, die keine Neigung zu Pferden haben. Und kreuzunglückliche Felixe. Dennoch wollte ich dabei kein Risiko eingehen.
    ("Cian?" fragte M. - "Nein", antwortete ich nach kurzer Internetkonsultation. ""Alt" und "antik" passt doch nicht zu einem Baby."
    "Linus oder Lino?" "Süss, aber keine Chance. Der Leidende, Trauernde, Klagende? Das wollen wir ihm (und uns) nicht antun, oder?" "Wendelin?" fragte M. "Bist du wahnsinnig?" rief ich entsetzt. "Wendelin bedeutet "Vandale". Da haben wir dann das Geschenk, wenn er mit sechzehn eine S-Bahn zu Kleinholz macht.")

"
Jetzt bleibt uns aber nicht mehr viel", bemerkte M. trocken.
Ein uns bekanntes Paar suchte in seiner Verzweiflung auf Friedhöfen nach dem passenden Namen für ihr Kind. Alte Vornamen wie Karl und Frieda seien ja wieder schwer im Kommen. Wir waren nach eigener Inspektion dann aber doch erleichtert, als wir erfuhren, dass sie nicht einen Otto, eine Gertrud oder einen Hans-Peter, sondern eine Rosalin bekommen haben.
Der Geburtstermin rückte näher und näher. Zwar hatten wir mittlerweile ein paar Favoriten, doch
zu einer definitiven Entscheidung konnten wir uns lange nicht durchringen.

In den frühen neunziger Jahren waren für mich Nirvana, Karo-Hemden, Dreadlocks und kaputte XL-Hosen das Nonplusultra. Nur um gegen Ende der Neunziger von hautengen Schlaghosen, Buffalo-Boots, blauen Haarsträhnchen und Techno-Beats abgelöst zu werden, bevor es irgendwann zum Wechsel Richtung Indie-Rock und moderatem Hipstertum kam. Auch M. liess so manches Foto aus seiner Jugend verschwinden, so peinlich ist ihm sein damaliges Aussehen. 

Was ich damit sagen will: Wie können wir unserer Entscheidung trauen? Was uns jetzt gefällt, finden wir in ein paar Jahren vielleicht schrecklich. Der Geschmack verändert sich nun mal. Wie viele Eltern haben ihre Entscheidung bereut, kaum dass die Tinte auf dem Dokument trocken war? Und wie viele würden ihre Kinder zehn Jahre später anders nennen, wenn sie es könnten?


Vermutlich machten wir uns ja viel zu viele Gedanken. Welches Kind mag schon seinen eigenen Namen? Da kann er mit noch so viel Liebe und Vorsicht ausgesucht worden sein.

Anscheinend soll der Name aber gar nicht dem Kind gefallen. Und auch nicht den Eltern. Sondern dem zukünftigen Lehrer, Arbeitgeber oder Wohnungsvermieter, las ich in einem Ratgeber*. In Studien hätten Schüler und Studenten mit gewissen Namen bei gleichen Leistungen schlechtere Noten erhalten, als solche, welche einen gefälligeren Namen trugen.

Das setzte uns noch mehr unter Druck. Zu all den Sachen, die Eltern verkorksen können, gehört nun also auch noch die Wahl des Namens.

Freunde und Verwandte waren auch keine grosse Hilfe. Entweder kamen sie uns mit nicht ernst gemeinten Vorschlägen wie Aegidius, Horatio oder Bonifaz, über die wir spätestens ab Schwangerschaftswoche 37 nicht mehr wirklich lachen konnten. Oder sie liessen unabsichtlich abfällige Bemerkungen oder wüste Assoziationen zu Namen fallen, die es bei uns bereits in die engere Auswahl geschafft hatten.

Die Frage: "Und, händ ihr scho en Name?" wird etwa ähnlich häufig gestellt, wie "Und, wüssed ihr scho was es wird?"


Und diesmal antworte ich hartnäckig und eigensinnig: "Ja, aber mir sägeds nonig."

Denn dass uns jemand den so sorgfältig ausgewählten Namen für unser Schwurbli (Arbeitstitel) im letzten Moment noch madig macht, würden meine nun mehr ziemlich dünnen Nerven nicht etragen.





* Diese Angaben stammen übrigens aus dem sehr lesenswerten NZZ Folio zum Thema Vornamen, Ausgabe April 2013.



Mittwoch, 1. Mai 2013

Abschiedsbrief


Mein lieber Bauch!
Ich weiss, unsere Beziehung war in den letzten dreissig Jahren nicht immer rosig. Die ersten 15 Jahre habe ich dich grösstenteils ignoriert und danach alles getan, dich wegzutrainieren, zu kaschieren, zu verstecken. Ich mochte Dich gar nicht, ganz ehrlich. Zu bleich warst Du mir. Und warum Du trotz 1000 Sit-ups nicht so flach und straff sein wolltest wie bei manchen Freundinnen, konnte ich auch nicht verstehen. Das süsse Geheimnis, das man so oft hätte in Dir vermuten können, stellte sich stets als doppelte Portion Pizza mit Dessert heraus.
In den letzten neun Monaten aber habe ich Dich ganz neu schätzen gelernt. Als ich erfuhr, dass in Dir still und heimlich ein kleines Menschlein wächst, sah ich Dich plötzlich mit ganz anderen Augen. Blickte nicht mehr verärgert, sondern mehr und mehr fasziniert, ja geradezu ehrfürchtig auf Deine wachsende Wölbung.

Jeden Abend habe ich Dich seither liebevoll mit naturkosmetischen Ölen massiert und insgesamt bestimmt hundert Fotos von Dir gemacht. Stolz wie ein Pfau bin ich in den letzten Monaten mit Dir herumspaziert und habe Dich in die Welt gestreckt, um allen zu zeigen, was Du drauf hast. Und stell Dir vor, ich habe ganz viele Komplimente wegen Dir erhalten! Ja! Sogar von Wildfremden! Schön seist Du. En typische Buebebuuch!

Du hast mir die Aufmerksamkeit und Zuneigung gedankt, in dem Du mich kein einziges Mal mit Übelkeit, Sodbrennen oder Magenschmerzen geplagt hast. Bist nicht mal gerissen, sondern hast Dich bloss mit der Linea nigra, einer wunderschönen Linie quer über den Bauchnabel verziert (und dem einen oder anderen zusätzlichen Haar, von dem ich schwören könnte, dass es vorher nicht da war. Aber das nehme ich Dir nicht übel.)

In Dir passiert jetzt gerade das grösste Wunder überhaupt. Und Du lässt mich daran teilhaben, in dem Du mich spüren und sehen lässt, wenn sich das Kindlein darin bewegt oder den Hitzgi hat.

Zwar wirst Du nun mit jedem Tag grösser und schwerer, was mir das Stehen, Gehen, Treppensteigen, Bücken, ja sogar das Liegen im Bett immer unbequemer macht.
Trotzdem werde ich Dich vermissen. Die magische Zeit könnte nun täglich vorbei sein. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass ich die neun Monate mit Dir nie vergessen werde.

Und ich verspreche Dir, dass ich ganz fest versuchen werde, unsere positive Beziehung auch dann aufrechtzuerhalten, wenn Du mir für den Rest meines Lebens zeigst, dass Dich diese intensive Beanspruchung etwas strapaziert hat.

Wie sagt man so schön: Es sind die inneren Werte, die zählen.

 

Kleiner Nachtrag:

Folgendes Zitat von Arthur Schnitzler stand heute auf unserem Kalenderblatt:


"Ein Abschied schmerzt immer, auch wenn man sich schon lange darauf freut."


Passt doch irgendwie ganz wunderbar zum Thema Bauch. Und Geburt.

Dienstag, 30. April 2013

Ein Baby kommt selten allein



Es ist noch nicht lange her, da die Christenheit gerade mal wieder die Auferstehung von Gottes Sohn feierte. Das Leben des Mannes, der zum berühmtesten Menschen der Welt werden sollte, fing bekanntlich in grösstmöglicher Armut an. In Windeln gewickelt, in einer Heukrippe in einem erbärmlichen Stall. So will es die Legende.

Nun, vielleicht war Maria auch einfach sehr schlecht auf die Ankunft ihres Sohnes vorbereitet. Welche werdende Mutter verlässt denn im hochschwangeren Zustand noch das Haus, um quer durch das ganze Land zu reisen, noch dazu auf einem unklimatisierten Esel, und nimmt nicht mal einen Maxi-Cosi mit?

Geschweige denn ein Pack Pampers, einen Nuggi, eine Milchpumpe, ein Set Strampler aus hautfreundlichem Wolle-Seide-Gemisch, ein Bio-Baumwoll-Mützchen, einen Overall aus naturbelassenem Merino, selbstgestrickte Söckchen, unparfümierte Popo-Crème, eine Wickelunterlage, einen Tummytub, eine Nuggikette mit Bernsteinanteil – um jetzt hier nur einen Bruchteil davon aufzuzählen, was ein Menschlein ausserhalb des Mutterleibs
scheinbar alles braucht.

Wer nämlich denkt, dass ein Kind nackt und bloss auf die Welt kommt, der hat sich getäuscht. Heerscharen von Babybedarf-Herstellern sorgen dafür, dass die werdende Mama in den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft vor allem eins tut: Einkaufen.
 

Auch mir hat die Frage, ob und wenn ja was ich für mein Kind alles anschaffen muss, ganz schön viel Kopfzerbrechen bereitet.

Eigentlich braucht ja ein kleines Kerlchen nicht so viel. Hat man ja bei Jesus gesehen. (Wobei der dann auch kurz nach seiner Geburt ziemlich grosszügig mit Gold, Weihrauch und Myrrhe beschenkt wurde und sich damit dann wohl doch den einen oder anderen New-Born-Eselsattel oder eine Ebenholz-Lauflernkutsche, oder was Babys vor zweitausend Jahren sonst so brauchten, hatte anschaffen können.)

Ich hörte von Müttern, so sie denn nicht ohnehin ganz auf Windeln verzichteten, dass sie ihre Kinder auf dem Fussboden wickelten und im Waschbecken badeten. Ja es soll sogar welche geben, die einen Wäschekorb als Bettchen benützen.

Zwar hatte ich mir ebenfalls vorgenommen, nur das allernötigste zu kaufen. Unser Budget war beschränkt und das letzte was ich wollte, war unsere kleine Wohnung mit noch mehr Zeug vollzustopfen. Ich hatte mir geschworen, mir nichts Unnötiges andrehen zu lassen. Jeder Kauf würde sorgfältig überlegt und nur getätigt, wenn der betreffende Gegenstand wirklich praktisch, notwendig, möglichst ökologisch und lange verwendbar war. Und, ebenfalls wichtig, das Auge nicht beleidigte.(Warum glauben so viele Hersteller, alles was am oder um ein Baby herum ist, müsse schreiend bunt und/oder mit verniedlichten Tierchen daher kommen? Es sind ja die Eltern, die das Zeug dann den ganzen Tag anschauen müssen!)

Trotzdem wurde sowohl meine Einkaufsliste als auch die Schachtel- und Taschenberge im zukünftigen Kinderzimmer immer umfangreicher, nicht nur weil ich entschieden hatte, sowohl einen Wickeltisch, als auch ein Bettchen UND ein Badewännchen zu kaufen. Den Wäschekorb brauche ich nun mal für meine Wäsche, das Waschbecken schien mir unpassend und die Sachen, die man gemeinhin zum Wickeln braucht, wollten schliesslich auch dann irgendwo aufbewahrt werden, wenn man das Kind auf dem Fussboden wickelt.

Aber mit dem Kauf eines Wickeltischs, Bettchens und Badewännchens war die Sache längst nicht erledigt. Zum Bettchen braucht man nämlich auch eine Matratze, einen Matratzenschoner, einen Matratzenbezug, ein Nestchen (zum Schutz des Köpfchens im Gitterbett), einen Nestchenbezug, einen Schleiervorhang, ein Mobile, ein Wolldeckchen und ein Schlafsäckchen. Für den Fall dass das Baby zum Schlafen lieber gepuckt werden will, auch noch einen Pucksack. Der Wickeltisch benötigt natürlich noch ein Wickelkissen, einen Wickelkissenbezug, Windeln, Babyöl, Feuchttücher, Waschlumpen, Wasserbecken, Watte, Frotteetücher, Haarbürste, Nagelscherchen und Wundcrème.

Dazu kommt: Sowohl Grösse als auch Bedürfnisse eines Kindes wechseln nach der Geburt fast stündlich und bedürfen austattungsmässig ständiger Nachrüstung. Allein die Kleider müssen ja alle paar Wochen komplett ausgewechselt werden. Da ich nicht wusste, ob ich ein zartes Mäuschen oder vielleicht doch einen dicken Brummer auf die Welt bringen würde, organisierte ich mir sicherheitshalber zwei komplette Ausstattungen in den Grössen 50 und 56. ("Der Junge hat ja jetzt schon mehr Klamotten als ich", lautete M.s Kommentar.)

Dass uns die letzten drei oben erwähnten Punkte (ökologisch, haltbar, keine Sachen, die das Auge beleidigen) sehr wichtig waren, führte dazu, dass wir nicht nur bei der Suche nach dem passenden Kinderbettchen von Pontius zu Pilatus pilgern mussten (um gleich bei den biblischen Vergleichen zu bleiben). Ich hatte gedacht, das Einkaufen für das eigene Kind würde Spass machen. Stattdessen stresste es mich so, dass ich fast neidisch wurde auf die gute Mutter Gottes. Zwar musste sie ihr Kind in einer Heukrippe unterbringen, dafür blieb sie vor halbstarken Kinderwagenverkäufern, Baby-Joe, Ikea, Ricardo und stundenlangem Googeln verschont. Und Kinderkleiderbörsen welche in Sachen Geschäftigkeit und Lärm einem Bauernmarkt im Herzen von Delhi in nichts nachstanden.

Klar musste Maria auf einem Esel nach Bethlehem reiten, ich aber musste im Feierabendstossverkehr von Zürich nach Basel tuckern, um dort ein über das Internet erstandenes Babybay abzuholen. (Ich hatte dummerweise beim Kauf übersehen, wo die Verkäuferin wohnt.)


Zurück kam ich übrigens nicht nur mit besagtem Babybay, sondern auch noch mit einem Riesensack Windeln, einem Fixleintuch, einem Tragetuch, einem Sterilisiergerät, einem Flaschenwärmer und einem Umstandskleid.

"Ein Flaschenwärmer? Ich dachte, du wolltest nur das Nötigste kaufen", fragte M. als ich schwerbeladen ins Haus wankte. "Ich weiss! Aber ein Sterilisiergerät ist unheimlich praktisch", sagte ich. "Wir haben uns doch entschieden, die Sachen einfach in der Pfanne auszukochen", entgegnete M., als ich das Teil auspackte. Es war grösser als unsere Kaffeemaschine und nahm sofort einen Gutteil der Küchenarbeitsfläche in Beschlag.
"Ja, aber die Frau war soo nett! Und stell dir vor, sie hat mir das Ding für nur fünf Franken gegeben", strahlte ich. 

Dass das Ding derzeit und wohl bis auf weiteres bei uns im Keller steht, versteht sich von selbst.


Und dass seither auch noch einiges anderes Einzug hielt, nicht weil wir es gebraucht hätten, sondern weil wir es gratis, oder fast gratis bekamen oder es "einfach sooo herzig" war, auch.




PS: Da ich nirgends eine vollständige und wahrheitsgetreue Liste von Dingen, die Eltern und Kind am Anfang brauchen, finden konnte, habe ich hier selber eine erstellt.

Sonntag, 28. April 2013

Mit dem Folterknecht auf du und du


Bisher hatte ich mir immer vorgestellt, die Geburt sei vergleichbar mit einem Rendez-vous mit der spanischen Inquisition.

"Liebe werdende Mutter", würde der Folterknecht sagen, "bald werden wir dir dein Kind überreichen. Leider müssen wir dich vorher noch ein klitzekleines bisschen foltern. Du darfst dabei aber selber wählen, ob du dich lieber auf das Streckbett oder die Nagelbank legen willst. Manche bevorzugen auch das heisse Öl. Oder möchtest Du lieber ausgepeitscht werden? Wir haben in jedem Raum alles zur Verfügung, es ist auch erlaubt zwischendurch zu wechseln, je nachdem, was einem gerade mehr behagt. Und nur keine Angst, zur Schmerzlinderung haben wir ätherische Öle, Globuli und Bachblütentropfen. Und Goran, unser Folterassistent, ist in Akupunktur ausgebildet. Wir haben extra gedämpftes Licht und du darfst dazu deine Lieblingsmusik hören!"

Ich war immer felsenfest überzeugt, dass wenn ich je schwanger würde, ich lieber gar nicht mitbekommen möchte, wie das Kind aus mir herauskommt. Kreissaal soll ja wirklich von Kreischen kommen. Und Wehen heissen auch nicht Wehen, weil sie Spass machen. (Da kann man sie noch so Wellen nennen, wie das im Hypno-Birthing gemacht wird. Übrigens etwas was ich als Binnenlandbewohnerin nicht weniger furchteinflössend finde. Was Wellen anrichten können, hat man ja letztes Jahr in Japan gesehen ...)
Ich würde also beim ersten Anzeichen von WEHEN sofort die höchstmögliche Zudröhnung bestellen. Oder vielleicht lieber gleich einen Kaiserschnitt.

Ich konnte die werdenden und gewordenen Mütter nicht verstehen, die jegliche Hilfe von aussen, geschweige denn einen Kaiserschnitt, als persönliches Versagen ansehen. 
Schliesslich lässt sich heute auch keiner mehr ohne Narkose Zähne ziehen, weil das "viel natürlicher" ist. 

Tja, nun bin ich selber schwanger. Und plötzlich sieht alles GANZ anders aus.  


Ich lernte folgendes:

  • Wenn die Frau während der Geburt Medikamente bekommt, wirken die natürlich auch auf das Kind. Nicht umsonst haben wir nun neun Monate lang sogar auf Hustenbonbons verzichtet. Wenn Mutti also mit Pethidin, einem hochkarätigen Opiat, zugeknallt wird, wie angeträllert ist dann erst das arme Baby? Und das in einem Moment, in welchem beide eigentlich vollen Einsatz geben müssten!
  • Eine PDA wird ins Rückenmark gespritzt. Allein schon der Gedanke lässt mich erschauern. Anschliessend ist man gezwungen, auf dem Rücken liegend zu gebären. Alle Techniken, die sonst bei einer Geburt unterstützend wirken können, also Bewegung, Baden, oder die Gebärposition Vierfüsslerstand sind dann unmöglich. Oft kommt es zu weiteren Komplikationen und/oder es muss per Saugglocke, Zange oder gar Kaiserschnitt nachgeholfen werden. Ausserdem litt eine Bekannte von mir anschliessend noch tagelang an starken Kopf- und Rückenschmerzen. Es soll gar die Gefahr bestehen, länger nicht mehr gehen zu können.
  • Geplante Kaiserschnitte sind grundsätzlich des Teufels. Es gibt einen Grund, warum sich alle Säugetiere aktiv durch einen Geburtskanal pressen müssen. Angeblich ist es nicht gut, dem Kind dieses erste und wichtigste Erfolgserlebnis seines Lebens vorzuenthalten. Ausserdem ist "ein aktiv gestaltetes Geburtserlebnis" auch etwas, was mütterlichen Charakter stärkt. Und ein wichtiges Thema auf dem Spielplatz, im PEKiP-Kurs, im Babyschwimmen, im Babymassagekurs, bei der Rückbildung und wo sonst frisch Entbundene zusammenkommen, um zu plaudern. So ähnlich wie sich die Wikinger in Walhall ihre glorreichen Erlebnisse bei von ihrer letzten Schlacht erzählen. Ein paar Tropfen Schweiss, Blut und Tränen müssen da schon geflossen sein, um in den Kreis aufgenommen zu werden.
  • Eigentlich ist der Körper der Frau zum Gebären geschaffen. Damit handelt es sich, im Gegensatz zum Ziehen eines Zahns, in der Tat um einen sehr natürlichen Vorgang (der von Mutter Natur vielleicht nicht ganz bis in alle Details durchdacht wurde, aber doch in den meisten Fällen funktioniert).   
  • Geburten verlaufen bei jeder Frau und bei jedem Kind wieder anders. Man kann sich noch so gut vorbereiten, wenn es soweit ist, kommt es ohnehin anders. Man hat keine andere Wahl, als sich darauf einzulassen.
  • Und: Sie müssen gar nicht weh tun. Weh tut es vor allem, weil man sich fürchtet. Angst verkrampft den Körper und macht alles nur noch viel viel schlimmer.
Alle diese Erkenntnisse haben mich nun zwar überzeugt, eine möglichst natürliche Geburt zu versuchen. Aber sie haben mich nicht unbedingt beruhigt. Wenn möglich haben sie mir eher noch mehr Druck und Angst gemacht.

Was mir wirklich hilft, ist folgendes: 

  • Wenn es meinem Körper gelungen ist, auf magische Art und Weise aus M.s Beitrag und einer meiner Zellen in nur neun Monaten, still und leise, praktisch ohne dass ich es bemerkt habe, ein fixfertiges, quicklebendiges Baby zu zaubern, dann wird er es auch fertigbringen, es aus mir herauszubefördern. Ich muss ihm nur vertrauen.
  • Wenn es wirklich so grausam wäre, würde keine Frau es mehr als einmal machen. (Wobei das auch heissen kann, dass Mutter Natur einen genialen Amnesie-Trick auf Lager hat.)
  • Ich habe über dreissig Jahre lang nie wirklich schlimme körperliche Schmerzen erleiden müssen. Und nun hatte ich auch noch das Glück einer absolut problemlosen, komplikationsfreien Schwangerschaft. Da kann das Leben nun schon von mir verlangen, für ein paar Stunden die Zähne zusammenzubeissen. Ich meine, was sind schon die paar Stunden im Vergleich zum ganzen Leben?
  • Das Leiden hat ein Ziel. Und ich werde bestimmt noch viel stolzer sein auf das Endprodukt, als damals, als mir mein Papa meinen Wackelzahn gezogen hat.
  • Egal was passiert, wenn ich es überlebe, habe ich zumindest eine gute Geschichte zu erzählen.
  • Wen du nicht besiegen kannst, mit dem solltest du dich verbünden. Also werde ich meinen eigenen Folterknecht, entschuldigung, meine eigene Hebamme mitbringen, die mir exklusiv zur Seite stehen wird. Bei diversen Verhören, entschuldigung, Untersuchen, konnten wir uns bereits etwas besser kennenlernen, so dass sie mich dann beim eigentlichen Prozess, entschuldigung, bei der Geburt sanft, aber bestimmt und so, wie wir es vereinbart haben, durch diese Stunden begleiten kann. Es beruhigt mich zu wissen, dass mir so zwei Personen zur Seite stehen werden, die ich kenne und die mich kannten, bevor ich zum schreienden Ungeheuer wurde. 
  • Da ich ja nun keine andere Wahl mehr habe, als in absehbarer Zeit zu gebären, versuche ich mich nun in Ruhe und Gelassenheit und repetiere täglich Urmutter-mässig: "Ich atme tiiief und ohne Angst. Mein Körper ist zum Gebären geschaffen. Ich werde mich öööffnneeen wie eine Lotosblume. Ich laaassee looos."
Nun sehe ich der Geburt ganz entspannt entgegen.

Nein.

Scherz.

Ich bin starr vor Angst.

Aber ich glaube, das geht wohl jeder Frau so. 


M., mein Folterknecht und ich, wir drei werden das Kind schon schaukeln.

Hausgemacht



Es gibt ja Frauen, die fernab eines Spitals, in einem Hebammenhaus oder gleich zu Hause im gemieteten Gebärpool entbinden.

Ich respektiere und bewundere sie sehr. Wirklich.
 

Wenn ich das erste Mal die Welt betreten würde, möchte ich das auch lieber bei uns zu Hause, im meiner Meinung nach sehr ästhetisch und gemütlich eingerichteten Wohnzimmer tun, als im Scheinwerferlicht eines aseptisch riechenden Gebärsaals.

Ausserdem hat man ja, wenn man Schmerzen hat und sich hundeelend fühlt, das Bedürfnis, sich an einen Ort zurückzuziehen, der einem vertraut ist, der Schutz und Geborgenheit bietet.


Frauen, die Angst vor der Geburt haben, haben oft vor allem auch Angst vor dem Spital. Logisch, in der Regel ist ein eher morbider Ort, ein Platz des Siechtums und der Schwäche. Allein der Geruch dreht manchen der Magen um. Dorthin geht man, wenn etwas ernsthaft kaputt ist. Plötzlich ist man nicht mehr "Linda Eggenschwiler" sondern "Gallenblase, Zimmer siebzehn".

Man muss
die Kontrolle abgeben, fühlt sich ausgeliefert, glaubt, vielleicht Hemmungen zu haben, sich an einem fremden Ort brüllend, schwitzend und fluchend am Boden zu wälzen und fürchtet, sich beim Gebären nach den Arbeits- und Ferienplänen der Belegschaft richten zu müssen.

Zu Hause hingegen darf man sich so viel Zeit nehmen, wie man braucht. Man kann nackt herumtanzen, Heavy Metal statt Walgesang hören, Sofakissen aufschlitzen, wenn einem das hilft, und die schlimmsten Fluchwörter herumbrüllen, die man kennt. 


Dennoch. 
Mittlerweile habe ich mich entschieden: Mein Sohn wird, so alles geplant läuft, in der hygienisch sterilen Umgebung eines Kantonsspitals das Neonlicht der Welt erblicken.

Krankenhäuser haben ja in den letzten paar Jahren von den Geburtshäusern viel dazugelernt. Es gibt Badewannen, Gym-Bälle, Matten und Majahocker. Und Babys dürfen nach der Geburt direkt zur Mutter und bleiben auch dort.


Natürlich: Gebärzimmer kommen in ihrer Heimeligkeit nicht an eine Lounge mit Sofalandschaft, offenem Kaminfeuer und kuscheligem Teppich heran. Aber sie sehen auch nicht mehr aus wie die Hinterräume einer Metzgerei. Und vor allem sind sie mit allem bestückt, was es bei einer Geburt allenfalls brauchen könnte.


Klar laufen die meisten Hausgeburten gut ab. Schliesslich wird man von einer erfahrenen Hebamme betreut. Dennoch besteht ja die klitzekleine Chance, dass doch etwas aus dem Ruder läuft.

Ich stelle mir schon die Fahrt unter normalen Wehen ins Spital etwas unangenehm vor, wie schrecklich und beängstigend muss es erst sein, nach Stunden und Stunden erfolglosen Würgens und Pressens notfallmässig mit einem halb im Geburtskanal feststeckenden Kind in die Klinik rasen zu müssen?

Und sollte es dann doch zum Schlimmsten kommen, wird man sich vermutlich ewig Vorwürfe machen.

Ich zumindest werde beruhigter gebären, wenn ich weiss, dass sich einen Stock tiefer eine hochausgerüstete Neonatologie-Abteilung befindet.
 

Aber auch wenn alles gut läuft, könnte es ja sein, dass man zwischen Küche und Bad keuchend am Garderobenhaken hängend feststellen muss, dass man die Schmerzen vielleicht doch ein klitzekleines bisschen unterschätzt hat und einen die Hebamme nun nur Globuli und Himbeerblättertee anbieten kann. Leider muss die Do-it-yourself-PDA erst erfunden werden. Und ich möchte auch nicht die ganze Nacht auf einen Kochlöffel beissen müssen, damit die Nachbarn wegen den gellenden Schreien nicht die Polizei rufen.

Obwohl: Ich würde mich theoretisch auch zu Hause schämen, mich brüllend und schwitzend und fluchend auf dem Boden zu wälzen. Aber wenn einem danach ist, ist es dann vermutlich auch egal, wo man das tut. Und wenn ich dann dabei auch noch kacken muss, dann lieber doch nicht auf meinen schönen Kirschholzparkett.

Überhaupt, die Schweinerei.

Ich bin froh, muss ich mich im Spital nicht selbst um die Sauerei, die eine Geburt anrichtet, kümmern. Denn wer als Heimgebärende erwartet, dass das der Mann erledigt, der muss damit rechnen, noch Wochen später neben Pizza- auch noch Plazentareste unter dem Sofa zu finden.
 

Nun, zum Glück dürfen Frauen heute selber entscheiden, wie und wo sie gebären möchten. Vielleicht entscheide ich mich bei einer nächsten auch für das traute Heim. Vermutlich aber eher nicht.

Denn Geburten sind was wunderbares.

So zehn Jahre später zurückblickend betrachtet.

Aber sie können auch traumatisch sein.

Und daran würde ich nicht immer erinnert werden wollen, wenn ich am Frühstückstisch sitze.

Sonntag, 21. April 2013

Gschpürschmifühlschmi



Ich bin enttäuscht, wirklich enttäuscht.

Schon Jahre vor meiner Schwangerschaft hatte es mir vor den Geburtsvorbereitungskursen gegraut. Aufgrund Erzählungen von Freundinnen, Filmen und einschlägiger Literatur hatte ich das Schlimmste erwartet.

Ich bin ja Schweizerin durch und durch und damit leider auch schwer verklemmt. Ich bin schon peinlich berührt, wenn ich bei einem Konzert im Takt mitklatschen oder man sich in einem Gottesdienst die Hände reichen muss. Ausserdem ist meine Hüfte etwa so beweglich, wie die eines 88-jährigen arthritischen Rentners. Wie also sollte ich  ein
von animalischen Stöhnlauten begleitetes Gruppenhüftkreisen überstehen? Würde man uns aus dem Kurszimmer werfen, wenn ich mir beim "Pferdeatem" oder "Äpfelschütteln" in die Hose pinkelte vor Lachen?

Auch mit allem esoterisch auch nur Angehauchtem tue ich mich schwer. Ich stehe dazu: Lieber zehnmal Bauch-Beine-Po als einmal Hatha Yoga. Beim Meditieren schlafe ich im besten Fall ein, normalerweise aber scheint mein Gehirn solche Übungen als Aufforderung zum Erstellen einer 1000-Punkte langen To-do-List zu verstehen.


Ich bin sozusagen esoterisch-gruppendynamisch andersbegabt. Was im normalen Leben selten eine Behinderung darstellt, kann unter pränatalen Umständen zu einer echten Herausforderung werden. Würde ich meiner Kurskollegin Schaden zufügen, weil es mir nicht gelang, ihr per Handauflegen positive Energien zu übertragen?
Würde sich mein Kind weigern, das Licht der Welt zu erblicken, wenn ich es nicht schaffte, sich öffnende Lotosblüten zu visualisieren? Oder mich zum Walgesang partout nicht entspannen konnte?


Ich hatte von Hebammen gehört, die sämtliche Fortschritte der modernen Medizin verteufelten und das Gebären im heimischen Schlafzimmer (vermutlich als zivilisatorisches Zugeständnis zur Alternative, der Höhle im Wald) als einzig richtige Art sahen, ein Kind auf die Welt zu bringen. Die behaupteten, Schmerzen seien durch mangelhaftes Vertrauen in den eigenen Körper selbstverschuldet, und, so sie sich denn nicht ausblenden und wegatmen liessen, allenfalls mit fröhlichem Gesang und Himbeerblättertee gedämpft werden konnten.

Ich war also auf alles gefasst. Immerhin würde ich nach dem Kurs im Bekanntenkreis meine eigene Horrorstory zu erzählen haben, dachte ich mir.


M.s Befürchtungen gingen in eine ganz andere Richtung. Er hatte raunen gehört, dass in Geburtsvorbereitungskursen Filme gezeigt werden, neben denen "Saw" an "Biene Maja" erinnert.

Und dann? Gerieten wir an eine ganz normale, durch und durch bodenständige Hebamme, die uns glasklar und ohne viel Federlesens mittels hochprofessioneller, blutfreier Powerpoint-Präsentation über Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett informierte.

Die Entspannungsübung bestand aus einer Pause mit Kaffee, Gipfeli und Früchten. Es wurde vollständig auf Energie-Transfer und animalische Laute verzichtet und das Berühren der anderen Kursteilnehmer tunlichst unterlassen.

Zugegeben, beim Herumzeigen des Epi-No gab es einige blasse Nasenspitzen (besonders unter den Männern, die nicht recht wussten, ob es sich beim betreffenden Gegenstand nun um ein Foltergerät oder doch ein Sex-Toy handelte), und als die Hebamme mit der Plüschplazenta rumwedelte, mussten wir uns alle das Lachen verkneifen.


Aber als die Kursleiterin dann auch noch unmissverständlich zu verstehen gab, dass es für Mutter und Kind keine Schande ist, bei einer Geburt (übrigens am Ort der eigenen Wahl) Schmerzmittel oder sogar eine Epiduralanästhesie anzunehmen und Männern kein Zacken aus der Krone fällt (im Gegenteil eine erfülltere postnatale Sexualität gewährleisteter ist), wenn sie sich während der Geburt am Kopfende der Frau aufhalten, ging ein hörbares Aufatmen durch den Raum.

Ich kam also fürchterlich enttäuscht aus dem Kurszimmer. 


Und so begeistert, dass ich den Kurs bei Sandra Preisig gern weiterempfehle:

www.geburts-vorbereitungskurse.ch

Männersache

Warum die so grimmig schauen? Wahrscheinlich müssen sie zum Geburtsvorbereitungskurs.

Nachdem man monatelang gebangt hat, dass das Kind drinnen bleibt, ist es nun plötzlich an der Zeit, sich auf sein Rauskommen vorzubereiten. Dazu werden epische Ausflüge in Baby- und Kinderfachgeschäfte unternommen, sämtliche weiblichen Verwandten und Bekannten, die schon geboren haben,
langen Verhören unterzogen und nächtelang einschlägige Literatur, Websites und DOK-Filme konsumiert.

Ach ja, ein Geburtsvorbereitungskurs gehört ebenfalls dazu. 

Nun wage ich aber zu behaupten, dass drei Viertel der Erstgebärenden drei Viertel der darin vermittelten Informationen kennen. Aber die Kurse sind ja nicht für Frauen, sondern für deren Männer gedacht.

Denn diese* leben bis zum  Tag des positiven Schwangerschaftstests in einem grösstenteils babyfreien Nirvana.
Und auch danach
zeigen die werdenden Väter von sich aus eher wenig aktives Interesse an den Vorgängen in der Schwangerschaft und den Herausforderungen der Geburt und des Wochenbetts.
  
Sie nehmen an, dass wir schon wüssten, was wir tun, da das Kind schliesslich in unserem Körper heranwächst. Nur weil wir einen Uterus und Eierstöcke unser eigen nennen, wüssten wir, worum es geht, wenn von Dingen wie Pucken, Kindspech, Dammschnitt, MuMu oder PDA die Rede ist. (Wohingegen es für sie in Ordnung ist, bei Kolostrum an römische Ruinen, bei Wochenbett vielleicht an John Lennon und Yoko Ono und bei Majahocker an ein neues Must-have für das designbewusste Wohnzimmer zu denken.)

Als ob uns der Gedanken, dass bald ein lebendes Menschlein zwischen unseren Beinen hervorschlüpft, rein durch die Zusammenstellung unserer Organe weniger erschrecken würde!


Ein Stück weit haben die Herren ja Recht. Bestimmt helfen uns fraunespezifische Hormone gewisse Fragen rund ums Brüten und Nesten rein intuitiv zu beantworten. Ausserdem sind
die Themen Kinder, Erziehung, Geburt und Schwangerschaft in allen seinen teilweise haarsträubenden Details unter Frauen bereits von Kindsbeinen ein Thema. Dazu muss man nur zweijährige Mädchen und ihre Puppen beobachten.

Der grösste Teil unseres Wissens aber ist hart erarbeitet. Schliesslich sind wir gezwungen, uns allerspätestens nach dem positivem Schwangerschaftstest mit den Themen zu befassen, sind wir es doch, die im entscheidenden Moment die Folgen mangelnder Vorbereitung ausbaden müssen.

Wenn sie sich ansonsten liebevoll und geduldig um uns kümmern, nehmen wir es den Vätern auch nicht übel, wenn wir diejenigen sind, welche die Vor- und Nachteile von Pampers vs. Stoffwindeln abwägen müssen, entscheiden sollen, ob und wenn ja welche Muttermilchpumpe angeschafft werden soll und nächtelang auf Ricardo nach Dondolos und Tripp Trapps suchen müssen. Wir sind noch nicht mal böse, wenn sie nicht wissen was Dondolos und Tripp Trapps sind und warum man diese unbedingt haben muss.


Nur zum Geburtsvorbereitungskurs müssen sie mitkommen, damit sie wenigstens über die rudimentärsten Basics der prä- und postnatalen Vorgänge Bescheid wissen. Anders als am heimischen Küchentisch gibt`s
da kein Entkommen. Dafür sorgen die strengen Blicke der Hebammen und die überwältigende Anzahl kugelbäuchiger Frauen. Da können sich die Herren der Schöpfung noch so sehr in die hinterste Reihe verkrümeln.

Und jetzt mal ehrlich: Die letzten paar Jahrtausende haben euch etwas Blut und ein paar verstreute innere Organe auch nicht davon abgehalten, euch mit Keulen, Schwertern und Maschinengewehren auszutoben
. Auch bei Fussballspielen machen euch ein bisschen Dreck und Gebrüll nichts aus. Da werdet ihr eine Geburt und vor allem einem Geburtsvorbereitungskurs bestimmt unbeschadet überstehen.

*Damit meine ich jetzt nicht nur meinen. Stichprobenartige, wenn auch nicht respräsentative Umfragen unter Freundinnen kamen zum selben Ergebnis.

Donnerstag, 18. April 2013

Auf die Mode pfeifen

So stilbewusst könnte man Rad fahren. Eigentlich.

Kürzlich erntete ich ein paar merkwürdige Blicke. Erst dachte ich mir nichts dabei, schliesslich ist mein Bauch nun nicht mehr zu übersehen, dass da also ab und zu fasziniert oder auch entsetzt drauf geglotzt wird, erstaunt mich nicht. Ich erschrecke selber auch immer ein bisschen, wenn ich mich unvorhofft in einem Schaufenster spiegle.

Gestarrt wurde für einmal aber nicht wegen meines Bauchumfangs, der Anlass zur baldigen Mehrlingsgeburt geben könnte, sondern wegen meines Aufzugs: verwaschener XL-Basketball-Kapuzenpulli, farbverspritzte,labbrige Pyjamahosen, fingerlose Handschuhe, Bommelmütze und Turnschuhe, die ich normalerweise zum Rasenmähen trage. Es fehlten nur noch Dosenbier, Kippe und räudiger Hund, um den Obdachlosenlook zu vervollständigen.

Dabei hatte ich nur beschlossen, wieder mal etwas Sport zu treiben. Nachdem ich mich nämlich Jahre lang drei bis vier mal die Woche fast aus dem Haus prügeln musste, vermisste ich nun, da sie mir mein Bauch verunmöglicht, tatsächlich meine Waldläufe. Bis zur 28. Woche trabte ich noch wacker meine Runden, doch dann begann mein Bauch mit Unterleibskrämpfen gegen jedes Tempo zu protestieren, das die Durchschnittsgeschwindigkeit einer 89-jährigen am Rollator überschritt. Also stellte ich die Laufschuhe in die Ecke. Und begann zu degenerieren: Bald verkam schon das morgendliche Anziehen der Kompressionsstrümpfe zum schweisstreibenden Workout.

Um dem entgegen zu wirken, beschloss ich, M. fortan bei seinem Lauftraining auf dem Velo zu begleiten. Kaum beschlossen, musste ich feststellen, dass das nicht nur mein fortgeschrittener Schwangerschaftstzustand, sondern vor allem auch mein grosser Bauch und die geschwollenen Füsse verhindern wollten. Kein einziges meiner stylishen, multifunktionalen, atmungsaktiven Sport-Outfits passten mir noch über den gewölbten Leib. Und draussen war es gefühlte Knapp-um-den-Gefrierpunkt. M.s Sportsachen trug er selbst, der Rest war in der Wäsche.

Ich fackelte nicht lange, sondern griff mir aus M.s Schrank, was bequem war und mir über den Bauch passte. Es erfüllte seinen Zweck bei der Umradlung des Flughafens Zürich. Erst als ich damit durch den Flughafen zum Bahnhof hinunter schlurfte, realisierte ich, dass ich wegen meines Aufzugs von der Flughafenpolizei kontrolliert werden könnte.


Aber wenn man schwanger ist, werden einem gewisse Dinge auf einmal so herrlich egal.

Samstag, 30. März 2013

Spätpubertäre Frühvergreisung


Das Leben für Schwangere ist eigentlich genau gleich, wie für Nichtschwangere. Einfach anstrengender. Viiiel anstrengender.

Das liegt daran, dass man als Schwangere Pubertät und Vergreisung durchmacht. Gleichzeitig, versteht sich.


Mit der erfolgreichen Befruchtung macht sich der weibliche Körper, nach Jahren des mehr oder weniger einvernehmlichen Zusammenlebens, einfach selbständig.
So verlangt er plötzlich zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten nach einer Mahlzeit. Und zwar in Portionen, die einen äusserst aktiven 17-jährigen überfordern würden. Inhaltlich bevorzugt er nicht die empfohlene leichte Schwangerschaftsernährung, sondern gutbürgerliche Hausmannskost: Nudeln mit Rahmsauce. Älplermagronen. Und natürlich Kartoffeln in allen Variationen. Gern mit Mandelstangen und Zigerkrapfen zum Dessert.


Morgens verweigert er störrisch jeden Weckruf. Klebt sich hartnäckig an die Matratze, um wettzumachen, dass er einem die ganze Nacht mit Gedanken zur eigenen Endlichkeit geplagt hat, die nur unterbrochen wurden, um die Toilette zu besuchen. So etwa alle zwei Stunden.
Ausserdem: Der Rest der Welt kann uns mal. Der schwangere Körper wird so faul und unmotiviert, dass er sich am liebsten den ganzen Tag im Gammellook in sein eigenes Zimmer zurückziehen würde, um zu chillen.
Alltägliche Dinge wie Staubsaugen oder das Anziehen der Socken werden ihm lästig. Die Wohnung ähnelt daher mehr und mehr einer zwanglosen Studenten-WG. Was auf den Boden fällt, bliebt liegen. Es gibt Wichtigeres im Leben. Ausserdem ist das Bücken einfach zu anstrengend. Die Knie! Der Rücken! Generell neigt der trächtige Körper zum Zwicken und Zwacken, holpert bei der Verdauung und lagert Wasser ein: Statt über Männer klagen wir nun über Gebresten. Sexy war gestern. Heute tragen wir bügellose BHs, Kompressionsstrümpfe und Unterhosen, in denen man zelten könnte. Aufs Rasieren verzichten wir ganz. Schlicht, weil wir die neuralgischen Stellen nicht mehr erreichen.

Ganz egal ist uns das nicht. Jahre, nachdem wir uns ENDLICH mit der eigenen Figur abgefunden hatten, stehen wir plötzlich wieder vor dem Spiegel und studieren den eigenen Hintern: Ist er grösser geworden? Ist er kleiner geworden? Oder scheint das nur so, weil der Bauch so riesig ist? Sieht der Bauch aus wie der einer Schwangeren, oder sieht er einfach nur fett aus? Männer, enge Freunde und nahe Verwandte werden zu dieser lebenwichtigen Frage beigezogen und wehe, sie geben die falsche Antwort. Dann erleben sie das Temperament einer Schwangeren live.


Das Ankleiden dauert STUNDEN. Aber wenn wir heute glauben, wir hätten nichts mehr anzuziehen, haben wir vermutlich Recht. Wenigstens ist das ein respektabler Grund, in Tränen auszubrechen. Weitere Gründe: Geschichten über Frauen, die ihr Kind verlieren.* Oder ihren Hund.** Eine Pamperswerbung am TV. Wenn keine Schokolade mehr im Kühlschrank ist. Ein schönes Lied im Radio. Die Wasserwerke laufen in der Regel aber auch einfach mal so. Das ist genau so unerklärlich wie die hysterischen Lachanfälle.
Himmelhoch jauchzend - zu Tode betrübt: Die Laune einer Schwangeren ist etwa so stabil wie das Aprilwetter.

Wir werden furchtbar ungelenk, weil unser Gehirn nicht mit dem rasanten Köperwachstum Schritt hält.
Oder weil wir ständig die neue Körperfülle und deren Wenderadius unterschätzen.***

Wir werden schusslig. Ob Schirme, Handschuhe, oder Parktickets: Was verloren gehen kann, geht verloren. Ob Zugbillete lösen, Milch mitbringen, Wäsche aus der Maschine nehmen: was vergessen werden kann, wird vergessen. Ein Wunder, dass wir morgens vollständig angezogen aus dem Haus kommen und noch wissen, wohin wir wollen. 
 

Nun. Damals wie heute hilft kein Wehklagen und kein Jammern. (Wohl auch morgen nicht. Damit vergraulen wir dann höchstens unseren Pflegeroboter.) Da müssen wir durch.

Schliesslich produzieren wir nebst dem E-Mail-Beantworten, Geschirrspülen und Masterarbeiten schreiben gerade ein Kind.
Verzeihen wir unserem Körper, dass ihn das Koordinieren dieses wunderbaren Vorgangs nun mal ziemlich in Beschlag nimmt.



* Dabei spielt es nicht mal eine Rolle, ob die Geschichte wahr oder fiktiv ist. Den betreffenden Roman konnte ich auch nach drei Anläufen nicht fertig lesen. Schluchzend kann man einfach keine Buchstaben erkennen.

** Dito.


*** Gerade heute blieb ich nach dem Montieren eines Mobile-Halters zwischen zukünftigem Wickeltisch und Bettchen stecken.

Sonntag, 3. Februar 2013

Es



Ich mag keine Überraschungen. Ich werde über alles Anstehende gern frühzeitig und möglichst genau informiert, damit ich mich physisch und psychisch darauf einstellen kann.

Derzeit fragen alle: "Möchtet ihrs wüsse?" Oder: "Wüssed ihrs scho?"

"S" meint übrigens unter Insidern, also werdenden Eltern, das Geschlecht des Kindes. Und ja, ich wollte es wissen.

Dann sagen sie, fast enttäuscht: "Wänd ihr oi nöd überrasche lah?"

Ich meine, so alles gut geht, wird ab Mitte Mai ein mir bis anhin nur von ein paar unscharfen Bildern bekannter Mensch schlüpfen. Ist das nicht Überraschung genug?

Und jetzt mal ehrlich: Wie gross ist der Unterschied, es jetzt, oder erst in ein paar Monaten zu erfahren?
Irgendwie vermute ich, dass es mir in dem Moment, wo ich realisiere, dass ich die Strapazen der Geburt anscheinend lebendig hinter mich gebracht habe, völlig egal sein wird, ob ich gerade einen Jungen, ein Mädchen oder eine kleine Giraffe zur Welt gebracht habe, solange das Ding gesund und munter ist.

Es jetzt zu erfahren hilft mir, mich ein klitzekleines bisschen mehr auf das Menschlein vorzubereiten, das in der Zwischenzeit so wild in meinem Bauch herumschwurbelt.

Manchen werdenden Eltern geht es ja ähnlich. Auch sie wollen es wissen. Wenn man sie dann aber zu gegebener Zeit, also um die zwanzigste Schwangerschaftswoche herum, fragt, denn das ist eine der Fragen, die man angehenden Eltern anscheinend stellt, gehört sie doch zu den Top-Ten der Schwangerschaftsfragen, unter denen ascheinend "Habt ihr schon einen Namen?", "Ist dir oft schlecht?" und auch: "Und, irgendwelche merkwürdigen Gelüste?" rangieren; wenn man sie also fragt, ob sie es schon wissen, dann antworten sie ganz geheimnisvoll: "Ja, aber mir sägeds nöd!"

Verzeiht mir, wenn ich jetzt jemandem zu nahe trete, aber was beabsichtigt ihr damit?
Denkt ihr nicht auch, dass es allen, die direkten Blutsverwandten mal ausgenommen, herzlich egal ist, ob ihr in absehbarer Zeit nun einen Jungen oder ein Mädchen bekommt? Wir fragen ohnehin nur aus Höflichkeit!

Nicht dass es mich nicht interessiert, versteht mich nicht falsch, aber ich klatsche nicht in die Hände, verwerfe die Arme und hüpfe vor lauter Überraschung auf und ab, wenn ich dann die SMS oder die Babyanzeige erhalte, aus der ich erfahre dass Hans-Peter und Ursula nun einen Jungen namens Alec-Benjamin bekommen haben. Ich würde mich genau gleich doll freuen und tierisch überrascht sein, wenn ich läse, dass sie nun stolze Eltern einer Leonie-Lara geworden wären.

Ja, es ist etwas ganz Besonderes, wenn einem im Bauch plötzlich ein kleiner Mensch wächst, das weiss ich jetzt aus Erfahrung. Und dass das etwas sehr Persönliches und Intimes ist, auch. Dennoch, ewig kann man das ohnehin nicht geheim halten. Irgendwann erfahren auch wildfremde Menschen, dass man ein Kind bekommen und auch, welches Geschlecht es hat. Spätestens wenn es in der Warteschlange der Migros-Kasse einen Trotzanfall hat. Dann würde ich allerdings verstehen, wenn man die Verwandtschaft mit dem Kind geheim halten möchte.

Nun gut, jede und jeder soll selber entscheiden.

Wir jedenfalls, das wissen wir nun, werden einen kleinen Jungen bekommen.

Und dass der uns in den nächsten paar Jahren noch mit ein paar Überraschungen beglücken wird, davon ist auszugehen.

Samstag, 12. Januar 2013

Riecht nach Gefahr



Eigentlich sollten auf den Parfümverpackungen Warnhinweise stehen. Nicht etwa wegen dem aufdringlichen Duft, der Schwangere dazu bringen kann, die Strassenseite oder das Zuagabteil zu wechseln. (Generell werden öffentliche Verkehrsmittel während der Schwangerschaft ja zu olfaktorischen Geisterbahnen.)

Warnhinweise braucht es aus einem ganz anderen Grund. Realisiert habe ich das kurz vor Weihnachten. Dann haben ja Parfümwerbungen am Fernsehen Hochkonjunktur. Normalerweise lassen sie mich kalt. Meist bin ich dann sowieso am Abwaschen, Wäsche aufhängen oder am Ausfüllen der Steuererklärung (oft kann man ja sogar all das hintereinander erledigen, nur um bei der Rückkehr auf das Sofa noch immer auf Werbung zu treffen).

Neuerdings aber ist mein Bauch so schwer, so dass ich des öfteren in der Werbepause vor dem Bildschirm sitzen bleibe und nach M. brülle, damit er mir Schokoladennachschub bringt.


Während ich mir, im XL-Gammelshirt und M.s Pyjamahosen, die schweren Beine hochgelagert, den Bauch massiere, muss ich also zuschauen, wie betörend schöne Minderjährige nackt wie Gott (und Photoshop) sie geschaffen haben dem Wellenschaum entsteigen oder in hautengen Paillettenkleidern Raubtiere streicheln und nebenbei Kraft ihres Dufts Männer um den Verstand bringen.


Nicht nur fühle ich mich in dem Moment noch mehr wie ein Walross, ein uraltes noch dazu. Ich realisiere auch mit Schrecken: Die meinen damit nicht mehr mich! Ich werde nie wieder diese Frau sein! Nicht dass ich jetzt falsch verstanden werde. Ich WAR noch nie diese Frau. Ich sehe zwar nicht gerade aus wie die Zwillingsschwester der bösen Hexe in Hänsel und Gretel, aber auch nicht wie die von Gisele Bündchen.Das heisst, auch in meinen besten Jahren drehten sich die Männer auf der Strasse nicht unbedingt nach mir um. Aber zwischendurch, an guten Tagen, fand ich mich gar nicht so übel, gelegentlich sogar ganz attraktiv. Immerhin gelang es mir zumindest einen Mann so um den Verstand zu bringen, dass er beschloss, seine Gene mit mir zu teilen.

Jetzt aber bin ich eine Mutti. Mit der Befruchtung meiner Eizelle wechselte ich die Werbe-Zielgruppe. Ab sofort bin ich anscheinend die Frau, die dazu gebracht werden soll, Nutella, Windeln, Durgol, Waschmittel, Swiffer-Tücher und No-Touch-Hygiene-Seife zu kaufen. Statt nackter Haut und Paillettenkleider trage ich postnatal praktische Jeans und bunte Blusen und freue mich ganz ganz doll, wenn die Flecken aus Sohnemanns Fussballtrikot raus sind. Statt Raubtiere streichle ich nun Pullis. Und wenn ich die Augen schliesse und genüsslich stöhne, esse ich vermutlich Schokolade.

Wie ist es nur dazu gekommen? Wer hat die männerverschlingende Venus in Frau Breihirn-Bünzli verwandelt?
Anscheinend die Schwangerschaft. Und was führte zur Schwangerschaft? Das Parfüm. Denn eigentlich ist das heimliche Ziel der meisten Raubtierstreichlerinnen und Meeresschaumbadenden die Verführung eines Mannes.

Realisieren sie, dass genau dies sie im Handumdrehen dahin bringen kann, wo ich mich jetzt befinde? Realisieren sie, dass sie damit ihr Paillettenkleid und die High-Heels mit bügellosem BH und Kompressionsstrümpfen tauschen müssen? Realisieren sie, dass sie damit ihre makellose Haut ausleiern und die schlanke Silhoutte ausbeulen? Realisieren sie, dass sie damit nicht nur ihre Werbezielgruppe wechseln, sondern auch ihre Job- und Karrierechancen auf ein Minimum reduzieren?

Darum sollten auf den Parfümverpackungen, so wie bei den Zigaretten, Warnhinweise gedruckt werden. Bsp. "Die Verwendung dieses Produkts kann zu Schwangerschaft führen." Am besten ergänzen wir sie mit ein paar abschreckenden Bildern, etwa von unförmigen, kotzenden Frauen mit Schwangerschaftsstreifen und Krampfadern.